Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
der Zeit, dass wir unsere Boote in Augenschein nehmen. Lasst die Männer antreten, Sergeant, und lasst es ordentlich krachen. Ich will nicht, dass uns irgendwelche fremdländischen Jungs den Rang ablaufen.«
»Auch nicht Lord Orkneys Jungs, Sir?«
Die Grenadiere hatten keine Trommlerburschen, dafür aber jede Menge Schwegelpfeifen, und so kam es, dass Steels kleine Streitmacht unter den Klängen des »Lillibulero« über die südliche Straße in die Ortschaft marschierte. Als sie über die kleine Brücke kamen, die den stark angestiegenen Fluss Grootgeleed überspannte, entdeckte Steel eine Mühle auf der gegenüberliegenden Seite. Über die Hauptstraße marschierten sie weiter in Richtung des vereinbarten Treffpunkts mit Erles Seeleuten.
Doch sie hatten kaum den Marktplatz erreicht, als Steel verdutzt stehenblieb. Denn dort, wo er mit einer anderen Straße gerechnet hatte, sah man nichts als Wasser, so weit das Auge reichte.
Slaughter trat neben Steel, und gemeinsam schauten sie auf die Wasserfläche. Vielleicht hatte der Sergeant doch recht gehabt, als er meinte, sie müssten auf See kämpfen. Denn das ganze Land war überflutet. Häuser, Windmühlen und Bäume standen unter Wasser. In unmittelbarer Nähe der Ortschaft konnte man indes noch mit Pferden oder Fuhrwerken vorankommen. Aber je weiter man sich von Giste entfernte, desto tiefer schien das Wasser zu sein, da die Landschaft zur Küste hin abfiel.
»Da habt Ihr Euer Meer, Jacob.«
»Die hätten die Kavallerie schicken sollen, Sir. Vielleicht am besten gleich die Dragoner. Wenn man jetzt ein Pferd hätte, Captain, könnte man die Kirche da hinten erreichen.«
Steel wusste, dass er als Kommandeur eines Bataillons auf dem Rücken eines Pferdes hätte sitzen müssen, doch er hatte sich geweigert, eins mitzunehmen. Für feindliche Scharfschützen gäbe er ein leichtes Ziel ab; außerdem eigneten sich Pferde für den bevorstehenden Einsatz nicht. Seesoldaten hatten mit der Kavallerie nichts zu tun, sagte er sich. Slaughter war allerdings immer noch schlecht gelaunt. Für ihn blieb es unverständlich, warum ein Kommandant irgendeines Regiments zu Fuß marschierte.
»Ja, Jacob, ich weiß, was Ihr jetzt denkt. Aber Reiter hätten uns auch nichts genützt. Wir müssen die ganze Strecke bis zum Konvoi zurücklegen, fast bis nach Ostende. Und das geht eben nur mit Booten. Also hört jetzt mit Eurer miesepeterigen Art auf und macht Euch an die Arbeit. Auf zu den Booten.«
Ein paar hundert Yards entfernt lagen die Boote, vertäut an einem Geländer, das ursprünglich zu einer Schänke gehört hatte. Das Wirtshaus stand unter Wasser, und die Straße, die sich eine kleine Anhöhe hinauf in die Ortschaft schlängelte, war weitestgehend unterspült. Bei den Booten wartete eine Abteilung Seeleute der Royal Navy, außerdem mehrere Offiziere in ihren auffallenden blauen Uniformröcken. Steel trat zu den Männern.
»Gentlemen, ich nehme an, wir sind Eure Passagiere. Captain Jack Steel, von den Grenadieren.«
Einer der Offiziere – gemessen an den Verzierungen an der Uniform gewiss der dienstälteste – kam auf Steel zu.
»Captain Cassels. Freut mich, Euch an Bord nehmen zu dürfen, Captain. Wir haben den Befehl, die Segel zu setzen, sobald wir Euch treffen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen den Konvoi vor den Franzosen erreichen.«
»Rechnet Ihr jetzt schon mit Schwierigkeiten, Sir?«
Der Offizier blickte skeptisch drein. »Ja, leider. Wisst Ihr es etwa noch nicht? Die Franzosen sind mit einer Flotte Galeassen von Brest aus aufgebrochen. Die Besatzung besteht aus Freibeutern und hat den Auftrag, den Konvoi zu kapern. Wir müssen uns beeilen, bevor es zu spät ist. Es kann also sein, dass Ihr ins Gefecht müsst, Captain.«
Die kleine Flotte glitt langsam über das dunkle Wasser. Links und rechts ragten Hausdächer und Kirchturmspitzen aus den Fluten. Einzelne, mit Bäumen bestandene Flächen wirkten wie Inseln im Meer, und auf kleineren Anhöhen stand das Vieh, abgeschnitten von den Gehöften. Steel dachte an die Geschichte von der Sintflut, an die Offenbarung des Johannes oder das Jüngste Gericht. Kadaver trieben im Wasser, zumeist Schafe, Rinder und Schweine, aber hin und wieder glitten auch aufgeblähte Leichen geisterhaft an ihnen vorbei: Männer und Frauen, die nicht rechtzeitig hatten fliehen können, als die Franzosen die Schleusen der Deiche geöffnet hatten.
Zwei von Steels Männern hingen über dem Bootsrand und übergaben sich. Slaughter
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