Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
kann, ist ein verdammter Bibelforscher. Das macht die Jungs nur unruhig.«
Der gottesfürchtige Coles gab noch nicht klein bei. »Aber den Jungs scheint’s zu gefallen, Sergeant.«
»Coles, warum willst du’s nicht begreifen? Bist du beschränkt und obendrein noch taub? Mir ist’s egal, was den Jungs gefällt und was nicht. Mir gefällt’s nicht, verstanden? Und jetzt Klappe halten!«
»Jawohl, Sergeant.«
Trotz der Salven, die von der Anhöhe voraus herüberflogen, hatte Slaughters Wutausbruch die lähmende Todesstimmung aufgebrochen, die über der vorrückenden Kompanie gehangen hatte. Einige der Männer hatten sogar ein Grinsen aufgesetzt.
Da hörte Steel wieder eine andere Stimme; diesmal war es einer der Rekruten: »Verdammt, Sergeant. Ich meine, seht doch, Sir!«
Steel schaute nach vorn und spähte in die abziehenden Rauchschwaden. Fast wäre er bei dem Anblick, der sich ihm bot, stehen geblieben. Allein seine eiserne Disziplin trieb ihn weiter an. Denn unmittelbar voraus, keine achtzig Yards mehr entfernt, hatte sich eine schier endlose Linie aus grau uniformierten Infanteristen aufgebaut. Und während Steel den Anblick verarbeitete, legten die Franzosen an, sodass die Grenadiere in die Gewehrläufe starrten.
Über die Schulter rief Steel: »Ruhig Blut, Jungs. Weiter vorrücken. Dann …«
Die letzten Silben seiner Worte gingen in dem Krachen unter, als an die vierhundert Musketen ihre Kugeln abfeuerten, die sich mit einem Gewicht von einer dreiviertel Unze in das rot uniformierte Regiment von James Farquharson bohrten. Rasch schaute Steel nach links, wo der Colonel bei den Fahnen geritten war, flankiert von den Trommlerburschen. Doch der Colonel war auf wundersame Weise unverletzt geblieben. Einer der Trommler hingegen lag tot am Boden, und Steel sah, wie eine der Fahnen nach unten sank. Es hatte einen der Fähnriche erwischt, doch schon wurde die Fahne mit der Messingspitze wieder aufgegriffen. Auch in den eigenen Reihen registrierte Steel mehrere Lücken. Aber jetzt war nicht der Moment, über Verluste nachzudenken.
»Aufschließen! Weiter vorrücken! Schließt die Reihen! Mir nach, Männer!«
Der Befehl wurde von den Sergeants und Corporals weitergegeben.
Über die Missklänge aus Trommelwirbeln, Schmerzensschreien und Musketensalven legte sich ein weiterer Befehl: »Halt!«
Major Frampton hatte das gesamte Bataillon auf eine Entfernung von sechzig Schritten zum Feind zum Stehen gebracht – die exakte Distanz der Lehrbücher für eine Salve. Steel bemerkte, dass von dem höchsten Hügel, der Boser Couter genannt wurde, ein kleiner Bach hinunter in die Ebene plätscherte und zwischen Freund und Feind verlief. Ihm war auch nicht entgangen, dass die Franzosen nachluden. Steel bellte einen Befehl und trat dann rasch zwischen die Reihen.
Zu Slaughter gewandt, sprach er: »Wir werden sie hier unter Beschuss nehmen, Jacob. Zug um Zug. Wir werden doch wohl eine bessere Darbietung abliefern als diese erbärmliche Salve eben, wie? Und bei Gott, wir werden es denen zeigen!«
Steels Grenadiere durften während eines Feuergefechts auf ausdrücklichen Befehl der Brigade die Salven selbst bestimmen, um dadurch die Feuerkraft des Bataillons zu erhöhen.
»Wir feuern Zug um Zug, Sir?«
»So ist es, Sergeant. Drei Salven von allen sechs Zügen. Die Franzosen können dieser Feuerkraft nur dadurch begegnen, indem sie sich uns mit den Bajonetten nähern. Aber um ehrlich zu sein, Sergeant, ich glaube nicht, dass sie dazu heute den Mumm haben. Was werden sie also tun? Stehen bleiben und auf uns feuern? Sie schaffen höchstens drei Schuss pro Minute, aber ich denke, sie kriegen gerade mal zwei hin. Und dann knöpfen wir sie uns vor.«
Slaughter nickte, wusste er doch um die Wahrheit in Steels Worten. Farquharsons Regiment, wie auch die anderen Regimenter der britischen Armee, bestand aus neun Kompanien mit jeweils fünfzig Mann, und jede dieser Kompanien gliederte sich in zwei Züge, die Grenadiere inbegriffen. In einem Feuergefecht wie diesem bekamen die kleinen Einheiten die Nummern »eins« und »zwei« zugewiesen. Innerhalb der beiden Züge pro Kompanie gab es weitere kleinere, mit Nummern versehene Unterabteilungen, sodass ohne Unterlass gefeuert werden konnte. Und genau dieses Dauerfeuer hatten die Franzosen fürchten gelernt. Mithilfe dieses Systems war es Farquharsons Männern und den anderen Infanterieeinheiten möglich, sechs kleinere Salven pro Minute abzufeuern. Steel fragte sich, welche Truppen
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