Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
ausgaben.«
Mit Schrecken dachte er zurück an jenen Tag des außergewöhnlichen und insgesamt glorreichen Feldzugs, als er und seine Männer Zeuge einer Gräueltat wurden, die ihresgleichen suchte: In einer Scheune lagen über hundert Leichen, wehrlose Dorfbewohner, die hingeschlachtet worden waren, um die Untat den Engländern in die Schuhe zu schieben. Nie hatten Steels Grenadiere die wahren Schlächter ausfindig machen können, doch an jenem Tag hatte Steel sich geschworen, die armen unschuldigen Frauen und Kinder zu rächen, sollte er die Täter doch noch eines Tages stellen.
Doch als er sich nun wieder in Erinnerung rief, wo er sich befand, fragte er sich erneut, ob er zu viel gesagt hatte und ob seine Gesprächspartner ihm womöglich ansehen konnten, wie aufgewühlt er war.
Derweil fuhr der bedrückte Haushofmeister fort, seine Bedenken in Worte zu fassen. »Sie sind nur noch zwei Tagesmärsche von uns entfernt, Sire. Sie könnten jederzeit hier auftauchen.«
»Beruhigt Euch, Duroc. Beruhigt Euch doch.«
Der kleine Mann wandte sich Steel zu. »Ich sage Euch, Captain, in Paris macht sich schon Panik breit. Eine Schlacht in Flandern zu verlieren, ist eine Sache. Es ist aber etwas anderes, wenn der Feind plündernd und brandschatzend auf französischem Boden steht. Das ist undenkbar! Was sage ich? Unerhört ist das!«
»Ich versichere Euch, Monsieur, die Briten werden den französischen Frauen keine Gewalt antun. Ich kenne diese Männer. Es sind ehrenhafte Soldaten. Ich habe gegen sie gekämpft, und sie haben alle Männer gut behandelt, selbst ihre Feinde. Das sind keine Barbaren. Dies ist ein Krieg mit zivilisierten Regeln.«
Der größere der beiden Männer lachte wieder. Dabei hätte er beinahe seine Maske sinken lassen, doch er besann sich rechtzeitig. »Ein Krieg mit zivilisierten Regeln, Captain? Wie kann ein Krieg zivilisiert sein?«
»Wir müssen alle daran arbeiten, Monsieur. Was würden wir tun, würde der Krieg keine Regeln mehr kennen?«
»Ihr sprecht wie ein Ire. Ihr seid fast einer von denen, wie?«
Steel musste aus dem Stegreif reagieren und nahm all seinen Verstand zusammen. »Ich bin Jakobit, Monsieur. Ich diene dem wahren König, und … ja, es ist wahr, dass ich mit ansehen musste, wie meine Landsleute von protestantischen Bigotten hingeschlachtet wurden. Aber das ist keinesfalls die Regel.«
Steel fragte sich, was für Interessen dieser französische Adlige bezüglich des Verhaltens der britischen Armee und der Einstellung gegenüber Jakobiten verfolgen könnte.
»Aber Ihr müsst zugeben, Captain, sobald ein Prinzip in Gefahr ist, gibt es kein Halten mehr.«
»Nein, Monsieur. Auch im Krieg dürfen Gerechtigkeit und Moral niemals aus den Augen verloren werden.«
»Ah! Ich sehe, dass Ihr ein gebildeter Mann und ein Kämpfer seid. Ihr habt das Aussehen eines Beaus, Monsieur, aber Ihr seid ein Gelehrter. Meint Ihr nicht auch, Duroc?«
Der kleinere Mann lächelte durchtrieben, während der Maskierte wieder lachte.
Erneut war Steel verunsichert und verzweifelte beinahe an seiner Rolle. »Ich gebe nicht vor, besonders gebildet zu sein, Monsieur. Es sind Dinge, die ich unterwegs aufgeschnappt habe, auf meinen vielen Feldzügen.«
»Und wohin haben Euch diese Feldzüge geführt?«
Steel führte sich vor Augen, dass er nun Gefahr lief, sich zu verraten. Selbstverständlich konnte er seine eigenen Feldzüge der zurückliegenden zwanzig Jahre herunterbeten. Jede einzelne Schlacht hatte sich unauslöschlich in seine Erinnerung eingebrannt. Aber er hatte stets für König William und für Königin Anne gekämpft. Jetzt hingegen musste er so tun, als wäre er Soldat in König Ludwigs Armee gewesen. Rasch suchte er in seiner Erinnerung nach Eckpunkten im Soldatenleben seines Alter Ego. Aber ob es nun am Wein lag oder an dem Druck, dem er sich ausgesetzt sah, es wollte ihm nichts einfallen.
Als sein Gegenüber die Stirn in Falten zog, fiel Steel ein einziger Name ein. »Neerwinden. Ja, Neerwinden. An diesem Tag haben wir gesiegt. Und zwar überzeugend.«
Der Mann nickte, schien auf weitere Details zu warten. Steel beschloss in diesem Moment, dass es besser für ihn sei, den Narren zu spielen, was ihm nicht leichtfiel. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als Unwissenheit vorzutäuschen und auf das Beste zu hoffen.
Im selben Moment ergriff jemand sanft Steels rechten Arm. Es war Simpson. Steel war so erleichtert, dass er den Spion beinahe bei seinem richtigen Namen genannt hätte.
»Ah,
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