Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
nahm einen langen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Ärmelaufschlag trocken.
»Ich liebe unser altes Elternhaus, Jack«, fuhr er fort. »Wir sollten wieder dort wohnen. Du und ich. Charles hat dafür nichts übrig. Das weiß ich. Ein Jammer, dass er es bekommen sollte.«
Steel bedachte seinen Bruder mit einem grimmigen Blick. »Nette Idee, aber ich verstehe nicht, warum ausgerechnet du Ansprüche auf Carniston House erheben solltest. Immerhin warst du es, der uns verlassen hat, Alexander.«
»Ich bin meinem Gewissen und meinem Glauben gefolgt.«
»Vater lag damals im Sterben, aber du bist gegangen, ohne dich noch einmal umzudrehen.«
»Du weißt, Jack, dass damals die Pflicht rief. Du und all unsere Landsleute sollten das wissen. Der König brauchte mich.«
»Ja, du hattest Pflichten. Aber was war mit der Pflicht deinem Vater gegenüber?«
»Er war ein alter Schurke, und das weißt du. Er hat das Geld der Familie verprasst. Bleib doch vernünftig, Jack. Ich hatte Verpflichtungen gegenüber dem König.«
»Dem König? Er ist nicht der König, dem ich diene.«
»Ah, da wären wir also wieder bei dem leidigen Thema. Der rechtmäßige König, Jack. Der König, dem ich diene. Der König, zu dessen Vater und Großvater unser Vater im Bürgerkrieg treu gestanden hat. Er glaubte noch an die Monarchie, Jack. Die von Gott gegebene Monarchie.«
»Ja, er glaubte an die Monarchie, aber nicht an eine Monarchie, die ihr Volk verrät und das Recht auf Machtausübung verwirkt hat. Jeder Monarch hat die moralische Verantwortung, die nun durch unsere rechtmäßige Königin verkörpert wird. Meine Königin ist Anne, die wahre Erbin von Charles Stuart.«
Alexander hatte für diese Worte nur Kopfschütteln übrig. »Bei all ihren Tugenden, Jack, sie kommt nicht aus der direkten Linie. Du weißt, dass der rechtmäßige Erbe König James wäre. Daran besteht kein Zweifel. Ich war ein paar Jahre bei ihm in St. Germain.«
»Verstehe. Während du also vor dem König gekrochen bist, saß ich zu Hause und musste mit ansehen, wie Vater starb. Wie er keine Luft mehr bekam und Blut spuckte und seinen letzten Atemzug tat. Und wo warst du da? In irgendeinem vergoldeten Salon, in geistlose Gespräche mit irgendeiner Herzogin vertieft.«
Alexander versteifte sich und stellte den Weinbecher auf den Tisch. »Das ist Verleumdung, Jack. Volle zehn Jahre habe ich auf dem Feld unter der Fahne gedient. Das nimmst du zurück, denn sonst fordere ich dich heraus, Bruder hin oder her.«
Steel schüttelte den Kopf. »Das ist doch töricht. Wir sollten uns nicht streiten, Alexander. Was würde Mutter dazu sagen?«
»Mutter war eine Heilige.«
»Aye, das war sie wirklich. Eine Heilige, die lange gelitten hat. Ich frage mich oft, ob wir beide so geworden wären, wie wir heute sind, wenn sie noch leben würde.«
Er musste an seine Mutter denken, die gestorben war, als er gerade fünfzehn Jahre gewesen war. Er dachte an ihre letzten Tage in der Kammer oben in Carniston House. Wieder sah er sich in dem dunkel getäfelten Zimmer sitzen, in dem es nach Lavendel und Zitrusfrüchten roch … und er hörte erneut den entsetzlichen, herzzerreißenden Husten der schwachen, schönen Frau, die er so geliebt hatte. Vor seinem geistigen Auge sah er ihr bleiches Gesicht, in dessen Züge sie trotz der Schmerzen noch ein Lächeln zu zaubern vermochte. Später hatte er vor ihrem Leichnam gestanden und durch seine Tränen die wachsartige, puppenhafte Blässe und das starre Lächeln der Erlösung auf ihren Lippen betrachtet.
In diesem Moment schnürte sich ihm wieder der Hals zu wie damals; er hatte das Gefühl, er müsste wieder in Tränen ausbrechen, wie so oft in all den Monaten nach dem Tod der Mutter. Stattdessen bemühte er sich, die Fassung zu wahren, nahm einen Schluck Wein und sah, dass sein Bruder sich ebenfalls in Tagträumen verloren hatte.
Langsam stellte er den Weinbecher ab. »Was würde sie jetzt wohl zu uns sagen, Alexander? Wie meinst du? Sollen wir Feinde in dieser Angelegenheit sein? Gewiss nicht, Bruder.« Sanft legte er seinem Bruder eine Hand auf den Arm. Er zog seine Hand nicht zurück.
Alexander sah ihm in die Augen. »Keine Feinde. Nein, Jack. Aber du irrst dich.«
»In Bezug auf was?«
»In Bezug auf den König. Er ist das Abbild des Königtums.«
Steel lächelte. »Ja, ich bin ihm schon begegnet. Er ist ein außergewöhnlicher Mann.«
»Du bist dem König begegnet?«
»Erst gestern Abend. In der Stadt. Aber frag nicht weiter.
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