Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)
Menschen zu verstehen, die mir meine Liebsten geraubt hatten … meine Frau und meine Kinder, ermordet im Bombenhagel Eurer Navy. Stattdessen verspürte ich nichts als Hass gegenüber einer fanatischen Nation. Mein Aufenthalt in Eurem Land diente nur dazu, meine Verachtung für Euer Volk zu befeuern. Daher gedenken wir, Euch dafür zahlen zu lassen, Captain. Ja, Ihr werdet für all die Ungerechtigkeiten büßen, die Eure barbarische Armee angerichtet hat. Aber ich kann es leichter für Euch machen, glaubt mir. Ihr seht ja, welchen Einfluss ich auf die Dame hier habe. Wenn Ihr mir die Namen Eurer Komplizen nennt, werde ich vielleicht in der Lage sein, Mylady von ihrem unangenehmen Vorhaben abzubringen. Ich könnte zumindest versuchen, Euer Augenlicht zu retten.«
Die Marquise schüttelte den Kopf. »Claude, Ihr solltet den armen Captain nicht necken. Mein Entschluss steht fest. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Steel hörte kaum noch hin. Wenn es mir nur gelingt, diesen Mann zur Weißglut zu bringen, dann wird er mich in seinem Zorn bewusstlos schlagen, dachte er. Und dann müssten seine Peiniger warten, bis er wieder imstande wäre, ihnen die Namen zu nennen, die sie brauchten – nicht zuletzt den Namen von Major Charpentier. Es war einen Versuch wert. Er durfte nichts unversucht lassen, um Zeit zu gewinnen – Zeit, die er dringend brauchte, um sich einen Fluchtplan zurechtzulegen.
Steel wartete, bis Malbec sich wieder dicht zu ihm herabbeugte. Im nächsten Augenblick spie er ihm ins Gesicht, ein Gemisch aus Blut und Speichel. Der Major wich erschrocken zurück, ehe er sich sorgsam die Spucke von der Wange wischte. Dann, mit unerwarteter Schnelligkeit, riss er den rechten Arm hoch und hämmerte Steel die Faust gegen den Kiefer. Steel flog der Kopf zur Seite, so heftig, dass er befürchtete, beim nächsten Schlag würde ein Halswirbel brechen. Als dieser Schlag ihn Augenblicke später tatsächlich traf, waren die Folgen nicht so schlimm wie befürchtet. Steels Plan ging dennoch auf, denn der Hieb war so brutal, dass Steel mitsamt dem Stuhl zu Boden ging.
Dann wurde es dunkel um ihn.
***
Steel lag in undurchdringlicher Finsternis und zitterte vor Angst. Er konnte nichts sehen, und bislang hatte er den entscheidenden Moment hinausgezögert. Doch jetzt wusste er, dass er handeln musste. Langsam fasste er sich ins Gesicht und tastete nach seinen Augen. Gleich die erste behutsame Berührung verriet ihm alles, was er wissen musste. Die schreckliche Angst, leere Augenhöhlen zu fühlen, fiel von ihm ab, denn er spürte die runden Augäpfel unter den Lidern. Gott sei Dank hatte er sein Augenlicht nicht eingebüßt! Noch hatte die Marquise ihre furchtbare Ankündigung nicht in die Tat umgesetzt.
Schmerzen litt er trotzdem. O Gott, sie hatten ihn übel zugerichtet! Er bewegte ein Bein und spürte sogleich ein brennendes Stechen. Mit der Hand fuhr er sich durchs Gesicht, fühlte das getrocknete Blut und die Schwellungen. Danach tastete er zunächst seine Beine, dann seine Arme ab, wie er es vom Schlachtfeld her kannte, um mögliche Knochenbrüche zu finden. Zum Glück schien ihm das erspart geblieben zu sein. Noch.
Steel dankte Gott, dass sein Plan aufgegangen war: Bei Malbecs Schlag hatte er das Bewusstsein verloren. Allerdings machte er sich klar, dass Malbec ihn bald wieder holen würde. Und dann könnte die Verhörmethode so furchtbar sein, dass er seinen Peinigern letzten Endes doch alles gestehen würde. Anschließend wäre er der Marquise auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – eine Aussicht, die er nicht weiter im Detail vertiefen wollte. Ihm blieb nur eine Wahl: Er musste so schnell wie möglich fliehen, mochte der Versuch noch so schmerzhaft sein. Dafür nahm er selbst den Tod auf der Flucht in Kauf.
Als Steel mühsam aufstand, stieß er sich den Kopf an der niedrigen Decke. Offensichtlich befand er sich nicht mehr in dem hohen Kellergewölbe. Wahrscheinlich hatte man ihn die Treppen nach oben geschafft, in irgendeine Bodenkammer. Ganz allmählich gewöhnten seine Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse. Zu seiner Linken gewahrte er einen fahlen Schimmer, was auf ein schmales Fenster hinzudeuten schien. Vorsichtig setzte er auf den blanken Dielen einen Fuß vor den anderen und tastete sich einen Weg zum Licht. Er ging bewusst langsam, weil er befürchtete, sich durch das Knarren der Dielen zu verraten oder über irgendetwas zu stolpern. Doch die Kammer schien leer zu sein.
Endlich erreichte er die Wand und
Weitere Kostenlose Bücher