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Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)

Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Steels Entscheidung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Gale
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ertastete die Umrisse des Fensters. Die Öffnung war mit Brettern vernagelt. Doch Steel gelang es, zunächst eine Ecke des Verschlags anzuheben. Schließlich wandte er all seine Kraft auf und brach ein Stück Holz heraus, wobei er sich an den Splittern in die Hand schnitt. Sofort flutete mattes Licht in die Düsternis der Kammer. Steel hatte eine Fluchtmöglichkeit gefunden.
    Eine halbe Stunde später bluteten seine Hände von der Anstrengung, die Bretter vom Fenster zu reißen. Endlich war das Loch groß genug. Mondlicht strömte herein und verlieh dem Raum einen silbrigen Schimmer. Vorsichtig spähte Steel aus der Öffnung. Er sah nichts als Himmel und ein Dach in einer Entfernung von etwa achtzig Yards. Vorsichtig schob er den Kopf etwas weiter hinaus und blickte nach unten. Wie er es vermutet hatte, befand er sich in einer Dachkammer, ungefähr vierzig Fuß über dem Boden.
    Unmittelbar unter sich sah er den Innenhof. Es war zweifellos der Cour Royale des Hôpital des Invalides. Also war er immer noch in Paris. In stillem Gebet dankte er Gott für diesen Umstand. Dann wandte er sich vom Fenster der Dachgaube ab und nahm die Kammer in Augenschein, sofern ihm dies im matten Mondlicht möglich war. Der einzige Zugang zum Raum war, abgesehen vom Fenster, die niedrige Tür, durch die man ihn gezerrt haben musste. Möbelstücke gab es nicht, nur einen zerbrochenen Tisch und einen Stapel Bretter.
    Erneut trat er ans Fenster und blickte hinunter auf den Innenhof. Jetzt galt es, schnell zu handeln. Jede Sekunde zählte. Mit einem Ruck riss Steel das letzte Brett vom Fenster ab und legte es hinter sich auf den Boden der Kammer. So leise er konnte schob er das Fenster auf und kletterte aufs Dach, mit den Füßen zuerst und das Gesicht zum Fenster gewandt. Mit beiden Händen hielt er sich am schmalen Fenstersims fest und spähte über den Rücken in die Tiefe. Ihm schwindelte, und einen Moment lang fürchtete er, den Halt zu verlieren. Hätte in diesem Moment jemand von unten zum Fenster hinaufgeschaut, wäre er gewiss entdeckt worden. Die Neigung des Daches war steil, doch die Schindeln unter seinen Füßen waren zum Glück nicht rutschig.
    Mit einer Hand tastete er nach dem Steinrelief oberhalb der Dachgaube und konnte sich an einer der Figuren festhalten. Er atmete tief durch, zog sich mit aller Kraft weiter nach oben und konnte sich Augenblicke später auf der Dachgaube abstützen. Ganz langsam, Schindel für Schindel, kroch er von der Gaube die steile Neigung hinauf bis zum First.
    Er hatte gehofft, einen Schornstein zu entdecken, an dem er hätte hinunterklettern können, doch er sah keinen. Weiter hinten auf dem Dachfirst erblickte er jedoch die Umrisse einer »Laterne« – eines quadratischen, turmartigen Aufsatzes –, etwa dreißig Fuß von seinem Standort entfernt. Steel musste über den First balancieren, wenn er zu dem Turmaufsatz wollte. Doch das erschien ihm zu riskant, da das Dach zu beiden Seiten steil abfiel. Also setzte er sich rittlings auf den First und rutschte Stück für Stück vor. Wahrlich kein angenehmes Vorwärtskommen. Unweigerlich musste er daran denken, wie es sich wohl anfühlte, wenn Delinquenten anderer Regimenter die Bestrafung des »Pferdes« über sich ergehen lassen mussten: Der Verurteilte wurde gefesselt auf den Rücken eines hölzernen Pferdes gesetzt, und seine Beine wurden mit Gewichten beschwert.
    Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Je weiter Steel vorankam, desto schmerzhafter wurde es auf den scharfkantigen Schindeln, zumal seine Handgelenke von den Lederriemen wund waren. Außerdem hatte er sich die Handinnenflächen an den Splittern verletzt.
    Endlich hatte er die hohe »Laterne« erreicht. Der schmale Turmaufsatz war ungefähr so groß wie Steel und besaß sechs Seiten, durch die Licht in das darunterliegende Stockwerk fiel. Steel erinnerte sich an eine ähnliche Konstruktion in seinem Elternhaus in Carniston House; allerdings bestand sie aus Holz, befand sich auf dem First der Stallungen und ließ Luft für die Pferde hinein. Wie oft hatten Alexander und er sich nachts durch die Öffnungen dieser »Laterne« gezwängt, um sich auf dem Heuboden heimlich mit Mädchen aus dem Dorf zu treffen!
    Wenn diese »Laterne« eine ähnliche Bauweise aufwies, müsste sich an einer der Seitenflächen eine kleine Tür befinden. Langsam umrundete Steel die turmartige Konstruktion und drückte vorsichtig gegen jede Seite. Vier Flächen gaben nicht nach, dann aber öffnete sich auf der

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