Stefan Bonner und Anne Weiss
eine Frau, die einen vergleichsweise neutralen Eindruck macht: Ihre Haare sind zwar hennagefärbt, aber sie ist die einzige Person ohne Blech im Gesicht. Die frisch gebackene Abiturientin in mir traut sich das Wort an sie zu richten.
»Morgen.« »Hallo!«, antwortet sie mit einem übermäßig entspannten Lä cheln. »Und, erste Woche?«
Ja klar, was denn sonst? Sehe ich aus, als hätte ich mich an die-sen Saftladen etwa schon gewöhnt?
Sie zieht an ihrer Fluppe und blickt mich erwartungsvoll an. Fühl dich willkommen, sagt dieser Blick, aber beim nächsten Mal komm bitte mit anständigen Klamotten und einem anderen Haar-schnitt. Übrigens, sagt der Blick noch, wir sind hier alle supertole-rant und nehmen jeden so, wie er ist.
Ich fühle mich gleich gut aufgehoben.
»Ja, Erstsemester«, spreche ich das böse Wort aus, »ich bin noch dabei, mir die Kurse rauszusuchen.« Ich wedele mit meinem Vorle sungsverzeichnis. »Weiß aber nicht, was ich nehmen soll.«
Sie zuckt gleichmütig die Schultern. »Ach, im ersten Semester ist das doch alles noch nicht so wild. Schau dich erst mal um und mach halt das, was dir Spaß macht. Keiner hier«, sie wirft einen Blick in die Runde, »hat im ersten Semester schon einen Schein gemacht.«
Hätte ich mal bloß nicht auf sie gehört. Aber irgendwie prägten sich mir diese Worte ein, und ich konnte sie nicht vergessen – bis ich endlich, endlich meinen Abschluss machte.
Schlimm waren die ersten Jahre in Kulturwissenschaft auch deswegen, weil keiner wirklich wusste, wie das Themenfeld einzu-grenzen war. KuWi war ein Laberstudiengang, und ich hatte ihn eigentlich nur deswegen gewählt, weil ich die Veranstaltung »Der Humor von Monty Python« im Vorlesungsverzeichnis gesehen hat-te. Ein klassischer Wohlfühlkurs. In den Jahren danach gab es nur noch esoterisch angehauchte Seminare über Selbstwahrnehmung. Die Teilnehmer saßen vorzugsweise auf dem Boden und warfen sich gegenseitig einen Ball zu, der mit einem Seidentuch umwickelt war, und waren selbst in Walla-Walla-Kleider gewandet. Ich ging drei Jahre lang hin, wenn es sich nicht vermeiden ließ, bis es irgend wann Zeit wurde, fertig zu werden.
Nachdem der Entschluss gefasst war, das Studium doch noch mit einem Abschluss zu beenden, wurde es knifflig. Was sollte man als Schwerpunkt belegen, und wozu würde man das gesammelte Wis-sen später überhaupt nutzen können? Was für einen praktischen Nutzen hatte das Studium? Wir waren doch eigentlich an der Uni, weil wir schlau werden wollten.
Dazu hatten wir die Hell-Dunkel-Metaphorik der Naturdar stellung in Herman Melvilles Moby Dick ergründet; in Phonetik dentale Plosive, nasale Liquide und bilabiale Vibranten kennen gelernt, die uns seltsamerweise gar nicht anstößig vorkamen; und wir hatten erfahren, dass Mark Twain eigentlich Samuel L. Clemens hieß. Wir dachten: »Das kann uns nun keiner mehr nehmen!« Wir dachten: »Jetzt sind wir schlau!«
Doch weit gefehlt. Für den Beruf hat uns das wenig bis gar nichts gebracht, und nur mit Glück bekamen wir im Anschluss an ein Praktikum nach dem Studium einen Zugang in die Arbeitswelt – wo wir erst mal alles von der Pike auf lernen mussten, weil uns unsere universitäre Ausbildung nicht auf die Berufsrealität vorbe reitet hatte.
»Das trenne ich konsequent: Beruf und Job.«
Frauke Ludowig Wegen des weit verbreiteten Irrglaubens, dass ein guter Job eine Folge des Studiums sei, ist die Generation Doof voll von Menschen, die glauben, dass sie mit der passenden Ausbildung auch einen sicheren Arbeitsplatz und damit ein entsprechendes Gehalt verdient haben. Stattdessen müssen viele von uns ihre Dienste erst mal als Billigjobber, Praktikanten oder Trainees anbieten.
Generation Doof meets Generation Praktikum.
Neu ist das Problem natürlich nicht, aber an der ernüchternden Bilanz hat sich scheinbar nichts geändert: Knapp vierzig Prozent der deutschen Uni-Abgänger absolvieren nach dem Examen zu nächst ein Praktikum, das im Durchschnitt sechs Monate dauert, bei vierzig Prozent der Praktikanten sogar noch länger. Nicht ein-mal die Hälfte aller freiwilligen Kopierer und Kaffeekocher sieht eine blanke Münze für die Arbeit, vierzig Prozent müssen zusätz-lich jobben, um den Lebensunterhalt zu verdienen, sechzig Prozent pumpen die Eltern an.
So geht es nicht nur den höher Qualifizierten. Auch Auszubildende und Lehrlinge finden immer seltener auf Anhieb eine Stel le. Im Jahr 2006 verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit rund 765 000
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