Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
gehört. Als eine seiner Verehrerinnen, die Darmstädter Unternehmerstochter Else Leuchs, von ihm wissen wollte, weshalb ihre Gedichte nicht gut genug für die Blätter für die Kunst seien, legte ihr Gundolf die höheren Gesichtspunkte dar, nach denen die Redaktion entscheide. Die Blätter -Dichter zeichneten sich aus durch
ein bestimmtes schwingen und eine bestimmte Intensität … ein schwingen und eine intensität freilich, die Ihnen als einem weiblichen Wesen schlechthin unzugänglich ist. Das soll nun keine grobheit sein und nicht der leiseste Vorwurf, sondern wirkliche sachfeststellung. Diese grenze statuire ich, und die besten und feinsten Frauenseelen, wozu ich Sie unbedingt zähle, können sie nicht überschreiten. Es gibt in den grössten dichtungen der Welt einen Kern und zwar den wesenskern! der frauen schlechthin verschlossen ist … heute, wo es gilt, eine heroisch religiösere lebensluft zu bilden in einer verhitzten, verweibten Welt, können wir eine Weile auch die schönsten Frauenstimmen nicht brauchen. 4
Wer Gundolf kannte, habe sich über solche Orthodoxien eher amüsiert, schrieb Sabine Lepsius in ihren Erinnerungen, »denn er selbst ließ kaum einen Tag vergehen, ohne bei geist- und reizvollen Frauen Anregung zu suchen«. 5 Es war nur eine Frage der Zeit, wann Gundolf diesen Spagat nicht mehr aushalten würde. Gegenüber Fine Sobotka empfand er 1912 noch Skrupel, seine Ideale zu verraten. Er könne nun einmal »nicht ausserhalb des Staats wahrhaft lieben«, schrieb er an George. Er bitte ihn deshalb, sie beide zu erlösen und seine Einwilligung zu ihrer Verbindung zu geben – »dich kostet es nur einen Fingerstreich!« 6 George dürfte ziemlich erleichtert gewesen sein, dass Fine die Problematik einer Eheschließung rechtzeitig erkannte und noch im gleichen Jahr den Kulturhistoriker Erich von Kahler heiratete, einen Freund Gundolfs.
Das nächste Unheil drohte in Form einer ungewollten Schwangerschaft. Anfang November 1916 war Gundolf zum Dienst hinter der Front eingezogen worden. George war vollkommen verzweifelt: »Mein kind ich kann nicht zulassen dass Du wirklich den äussersten gefahren ausgesetzt wirst – was soll ich denn ohne DICH?« 7 Aufgrund des am 5. Dezember 1916 erlassenen Hilfsdienstgesetzes, das für alle männlichen Deutschen zwischen dem 17. und 60. Lebensjahr die Arbeitspflicht in kriegswichtigen Betrieben einführte, drohte auch George selbst noch herangezogen zu werden. Anfang Februar wurde Gundolf zum Feld-Eisenbahnwesen nach Berlin kommandiert; Arthur Salz hatte sich für ihn verwendet. Zwei Wochen später kam er dank einer Empfehlung von Reinhold Lepsius an Walther Rathenau, der Gundolf am 18. Februar zum Abendessen einlud, in der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes unter. George war reichlich verstimmt; es gebe Situationen, »in denen zu verharren menschenwürdiger ist – als JEDE möglich hilfe annehmen, das mit Rath[enau] grenzt hart daran«. 8
Für den 9. Februar – er war gerade in Berlin eingetroffen – hatte sich Gundolf mit einer alten Freundin verabredet, der Musikerin Agathe Mallachow, mit der er zwei Jahre nicht zusammen gewesen war. Drei Monate später eröffnete sie ihm, dass sie schwanger sei. Gundolf erklärte sich umgehend bereit, sie zu heiraten, und teilte dies George mit. Dessen Antwort kam prompt, per Einschreiben und auf dem offiziellen Briefpapier der Blätter : »Die art wie Du mir knall auf fall eine heirat ankündigst als ob es sich um eine lustpartie handelte hat etwas unmögliches und sezt mich in schwerste unruhe. Nach alledem was Du mir vorher über das verhältnis erzähltest erkenne ich nur eine wahnsinnstat.« Wenn tatsächlich ein Kind da sei, was einstweilen »noch bezweifelt werden kann«, ließen sich bestimmt andere Möglichkeiten eines Ausgleichs finden als eine Heirat. Sollte Gundolf diese Warnungen in den Wind schlagen, könne er, George, ihn »zwar STAATLICH nicht ausschliessen … MENSCHLICH jedoch würde sich alles so ändern wie du dir nicht vorstellen kannst St.G.« 9 Vier Tage später schaltete George als letztes Druckmittel Gundolfs Mutter
ein. Gundolf ließ seine Freundin den Brief Georges lesen und sagte die Kriegstrauung ab. Als das Kind auf die Welt kam, ein Mädchen mit Namen Cordelia, empfand er die Angelegenheit nur noch als lästig. »Vater bin ich auch geworden«, schrieb er an Wolfskehl betont beiläufig, »das gehört zu den Kriegsstrapazen.« 10 Er ließ sich durch Berthold Vallentin vor Gericht
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