Steh zu dir
Anthony unabhängiger und selbstgenügsamer war, mussten Chloes Bedürfnisse nicht falsch sein. Sie waren eben anders. Aber Carole wollte auch mit ihrem Sohn Zeit verbringen. Sie wollte ihr Leben, dieses großes Geschenk, das ihr bereitet worden war, mit den beiden teilen. Auch wenn Anthony und Chloe jetzt erwachsen waren, so blieben sie doch ihre Kinder. Was auch immer die beiden von ihr brauchten, sie wollte es ihnen geben. Eines Tages gründeten sie vermutlich eigene Familien. Aber jetzt war der Augenblick, um besondere Momente mit ihnen zu verleben – bevor es zu spät dafür war.
»Denk doch schon mal darüber nach, wohin du gern möchtest. Du hast die freie Wahl.« Es war ein tolles Angebot, und wie schon oft war Stevie beeindruckt von ihrer Freundin und Arbeitgeberin. Sie ließ nie jemanden hängen. Carole war und blieb eine außergewöhnliche Frau.
»Wie wäre es mit Tahiti?«, stieß Chloe atemlos hervor.
»Im März könnte ich Urlaub nehmen.«
»Klingt großartig. Da war ich noch nie. Oder ich kann mich zumindest nicht daran erinnern. Es ist also für uns beide eine neue Erfahrung.« Darüber mussten sie lachen.
»Aber das werden wir auch noch herausfinden. Ich hoffe jedenfalls, am einundzwanzigsten Dezember wieder in L. A. zu sein. Du könntest am zweiundzwanzigsten hinkommen. Die anderen treffen erst Heiligabend ein. Dann bleibt uns zwar nicht sehr viel Zeit, aber es ist immerhin etwas.«
Carole wusste, dass Chloe ihre Fehlzeit bei Vogue aufarbeiten musste und deshalb momentan nicht einmal am Wochenende frei hatte. Vor Weihnachten würden sie sich deshalb nicht mehr sehen. Und Carole war noch nicht fit genug, um ihre Tochter in London zu besuchen. Bis zum Rückflug nach L. A. wollte sie es noch langsam angehen lassen.
»Ich werde am zweiundzwanzigsten da sein, Mom. Und danke«, sagte Chloe. Carole spürte, wie ernst es ihrer Tochter damit war. Zumindest wusste Chloe die Bemühungen ihrer Mutter zu schätzen. Vielleicht habe ich mich immer schon um sie gekümmert, dachte Carole, aber Chloe hatte es nicht wahrgenommen oder war zu jung, um es zu verstehen. Jetzt strengten sie sich beide an und bemühten sich umeinander. Allein das war für sie ein Riesengeschenk.
»Ich sage dir Bescheid, sobald ich wieder im Hotel bin. Vielleicht schon morgen oder übermorgen. Ich rufe dich an«, sagte Carole zum Abschied.
»Danke, Mom«, antwortete Chloe in liebevollem Ton.
Nachdem sie aufgelegt hatten, rief Carole Anthony in New York an. Er war im Büro und klang beschäftigt, freute sich aber offenbar, ihre Stimme zu hören. Carole erzählte ihm vom baldigen Umzug ins Hotel und wie sehr sie sich darauf freue, ihn Weihnachten zu sehen. Er schien gut aufgelegt zu sein, warnte sie jedoch noch einmal vor Matthieu. Das Thema tauchte in jedem ihrer Telefonate auf.
»Ich traue ihm nicht, Mom. Menschen ändern sich nur selten. Ich weiß noch, wie unglücklich er dich damals gemacht hat. Während unserer letzten Tage in Paris hast du unaufhörlich geweint. Ich will nicht, dass es noch einmal dazu kommt. Du hast genug durchgemacht. Mir wäre es lieber, du tätest dich wieder mit Dad zusammen.« Es war das erste Mal, dass er das sagte. Carole war überrascht. Sie wollte weder ihren Sohn enttäuschen noch Jason verletzen, aber sie würde nicht zu ihm zurückkehren.
»Dazu wird es nicht kommen«, antwortete sie ruhig. »Es ist besser, wenn wir nur Freunde sind.«
»Von mir aus, aber Matthieu ist kein Freund«, brummte Anthony. »Er hat sich damals wie der reinste Mistkerl verhalten. Er war verheiratet, nicht wahr?« Er erinnerte sich nur vage an jene Tage. Was er aber ganz sicher wusste, war, wie wütend ihn Matthieu damals gemacht hatte. Deshalb wollte Anthony heute alles tun, um seiner Mutter erneuten Kummer zu ersparen. Sie hatte Besseres als das verdient. Gleichgültig, von welchem Mann.
»Ja, er war verheiratet«, antwortete sie ruhig. Sie mochte es nicht, in die Position gedrängt zu werden, ihn zu verteidigen.
»Das dachte ich mir. Und warum hat er dann mit uns zusammengelebt?«
»Damals war es wesentlich schwieriger, sich scheiden zu lassen. Also fand man andere Wege. Ich wollte, dass er sich scheiden lässt. Aber dann starb seine Tochter, und seine Frau drohte mit Selbstmord. Matthieu hatte einen hohen Posten in der Regierung und wäre nicht ohne Skandal aus dieser Ehe herausgekommen. Es klingt verrückt, aber so, wie er sich verhielt, fanden es alle weniger schockierend als eine Scheidung. Er wollte sich
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