Steilufer
Gesicht war an der rechten Schläfe mit angetrocknetem Blut verkrustet und die Lippen waren geschwollen und rissig. Trotzdem meinten auch die beiden Kriminalbeamten, er gleiche dem Mann auf dem Foto. Inzwischen war das Team von der Spurensicherung eingetroffen und Angermüller sah einen Kollegen mit einer Kamera herankommen.
»Es tut uns wirklich leid, Sie bei Ihrer wichtigen Arbeit stören zu müssen, aber wir müssten wenigstens einen kurzen Blick auf den Körper des Mannes werfen und ein paar Fotos machen. Es besteht der dringende Verdacht, dass er durch Fremdverschulden in diese unschöne Situation geraten ist und da ist für uns jeder Hinweis wichtig.«
»Ist schon in Ordnung«, murmelte der Arzt. »Das habe ich mir schon gedacht, dass der sich nicht freiwillig zwischen die Bäume gelegt hat. Außerdem war er an den Händen gefesselt. Wir haben ihm die Strippe abgenommen und einer von den Polizisten hat sie gleich eingetütet, auch alles, was der Mann in den Taschen hatte!«
»Das ist gut – was ist mit seiner Kleidung?«
»Schuhe und Strümpfe hat Ihr Kollege auch an sich genommen, aber den Rest können wir dem Patienten erst im Krankenhaus ausziehen. Wir müssen uns jetzt wirklich sputen!«, trieb der Arzt zur Eile an. »Der Bursche ist mehr tot als lebendig, völlig ausgetrocknet, eventuell hat er eine schwere Kopfverletzung, Quetschungen, Prellungen, einige Knochenbrüche und was sonst noch alles, der muss so schnell wie möglich in die Klinik. Ich weiß nicht, wie lange der hier gelegen hat.«
»Wenn er der Mann auf dem Foto ist, dann wahrscheinlich schon eine Woche.«
»Eine Woche! Wirklich?« Der Notarzt war erschüttert. »Wenn das stimmt, dann grenzt sein Überleben wirklich an ein Wunder! Der hat Glück gehabt, dass er sich so ein schattiges Plätzchen ausgesucht hat, bei diesem Sommerwetter!«
Die Sanitäter hoben die Trage an.
»Dann machen Sie schnell Ihre Fotos und dann gehts ab ins Klinikum!«
Der Arzt zog die Aludecke weg, die über Fouhad Ferhati lag, und die beiden Kommissare begutachteten mit wachsendem Interesse die bedauernswerte Gestalt, die ohne merkbare Lebenszeichen und mit einem seltsam verdrehten Bein vor ihnen lag. Das Fußgelenk war dunkel verfärbt und geschwollen. Die Fessel schien sehr eng gesessen zu haben, denn beide Handgelenke zeigten dunkelrote Striemen. Während der Fotograf seine Aufnahmen machte, rief Jansen halblaut nach Ameise, der sofort angerannt kam und auf Jansens Geheiß eine Probe von einem auffälligen roten Farbfleck nahm, der sich auf Ferhatis Sweatshirt in Höhe der Brust befand. Auch an einem Ärmel und einem Hosenbein waren solche Flecke zu sehen.
»Gut, Herr Doktor, das wars! Ein Beamter kommt mit in die Klinik und Sie übergeben ihm bitte sämtliche Kleidungsstücke, die der Mann jetzt noch trägt. Und unser Rechtsmediziner wird sich wahrscheinlich auch bald bei Ihnen melden, um sich über Ihren ersten Eindruck von den Verletzungen zu informieren.«
»Alles klar! Wir starten. Auf gehts, Jungs!« Im Laufschritt eilten sie zu ihrem Notarztwagen, luden die Trage ein und fuhren, so schnell wie auf dem holprigen Waldweg möglich, davon.
Der muntere Polizist aus Ratekau kam auf die beiden Kriminalbeamten zu: »Melde gehorsamst: Alle möglichen Spurenträger, Kleidungsstücke und persönliche Gegenstände des Verletzten spurensicher verpackt und sichergestellt!«
Jansen murmelte etwas von unerträglichem Frohsinn und begleitete den Mann zu seinem Streifenwagen. Während die Kriminaltechniker systematisch den Fundort nach Spuren abgrasten, machte sich auch Angermüller mit der Umgebung vertraut, in der Hoffnung auf irgendetwas zu stoßen, dass die Vorgänge um Fouhad Ferhatis Verschwinden erklären könnte. Aber er machte keine Aufsehen erregenden Entdeckungen und glaubte schon bald zu wissen, dass dieser Ort nichts weiter zu offenbaren hatte. Er ging zurück zu Jansen, der dabei war, die eingetüteten Fundstücke auf dem Dach ihres Autos zu sichten. Nachdem sich der Krankenwagen entfernt hatte, war es ziemlich still im Wald geworden, ab und zu konnte man den Wind durch die Bäume rauschen hören und hin und wieder den seltsamen Schrei eines Vogels.
»Eichelhäher«, sagte Jansen und Angermüller nickte. Zu Beginn ihrer Zusammenarbeit hatte er sich über dieses Spezialwissen seines jungen Kollegen noch gewundert, inzwischen wusste er, dass Jansen als Junge ein begeisterter Hobbyornithologe gewesen war. Diese Liebhaberei aus seiner Kinderzeit hatte
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