Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
ließ sich ins Gras zurücksinken, schloß die Augen und lauschte hinaus in die Nacht. Da war der Wind, der sirrend durch das steife Steppengras strich und dann raschelnd in das Laub der Bäume am Waldrand fuhr, hohes Sirren und Schwirren und dann wieder tiefes Brausen und Rascheln. Das klang wie ein Gespräch zwischen Frauen und Männern. Je länger er zuhörte, desto deutlicher glaubte er Stimmen zu vernehmen und nach und nach auch einzelne Worte zu verstehen. Von der Steppe her klang es: ›Hier liegt einer, der ist in die Irre geritten, bis sich ihm die Sinne verwirrten. Wißt ihr, wer es ist?‹ und vom Wald her kam die Antwort: ›Rasch wollte er hoch hinaus, aber draußen, wo unterm Nachtsturm die Bäume rauschen, hält er’s nicht aus.‹ In das Rauschen mischten sich jetzt wieder die hellen Stimmen der Steppe: ›Wird er Hilfe finden, ehe die Gestirne am Himmel schwinden?‹ und wieder antwortete der Wald: ›Aus Arnis Haus laufen Männer heraus, haschen nach Gäulen, füllen die Taschen, brausen husch husch durchs Gebüsch.‹
    Als Lauscher das hörte, faßte er Hoffnung. Er richtete sich auf, aber von draußen war noch immer kein anderer Laut zu hören als das Singen und Brausen des Windes. Wieder strich es über die Steppe heran: ›Wird dieser Verirrte wissen, daß es nichtig ist, den Stein zu besitzen, wenn er vergißt, ihn richtig zu nützen?‹ Dann brauste wieder das Laub: ›Lauscht er nach draußen und schaut er die Augen, wird der Zauber zerhauen, aber die grausigen Wölfe huschen ihm nach.‹
    Während er noch nachdachte, was diese seltsamen Worte bedeuten sollten, sah er am Rande der Steppe schwankende Lichter, die sich näherten. Dann hörte er auch den dumpfen Aufschlag von Hufen, allen voran das rasche Getrappel Jalfs, der wie ein grauer Schatten über die Steppe heranfegte und seinen rauhen Eselsschrei ertönen ließ, um den Reitern, die ihm nachfolgten, anzuzeigen, daß sie ihrem Ziel nahe waren. Jalf blieb neben Lauscher stehen und stupste ihn mit dem Maul an, als wolle er feststellen, ob sein Freund noch am Leben sei. Als Lauscher ihn im Stirnfell kraulte, schnaubte Jalf zufrieden. Gleich darauf sprengten auch die Reiter heran, sprangen von ihren Pferden und liefen mit erhobenen Windlichtern herüber zu Lauscher. Es waren drei Männer in der Tracht der Beutereiter, aber ohne Zöpfe.
    »Arnis Leute«, sagte Lauscher erleichtert.
    »Ja, wir sind Arnis Leute«, sagte der älteste der drei, ein grauhaariger, magerer Mann, dessen dünner Schnurrbart in langen Zipfeln über die Mundwinkel herabhing. »Hast du uns gesucht?«
    »So lange, daß ich dabei fast verschmachtet wäre«, sagte Lauscher.
    Der Alte gab einem seiner Begleiter einen Wink, und dieser reichte ihm daraufhin ein rundes, apfelgroßes Gefäß. »Trink einen Schluck!« sagte der Alte zu Lauscher. »Das wird dich wieder zu Kräften bringen.«
    Lauscher setzte die Flasche an die Lippen und kostete das Getränk. Es schmeckte säuerlich-süß, prickelte ein bißchen und floß ihm dick wie Honig durch die Kehle. Er nahm einen kräftigen Schluck und spürte sogleich eine köstliche Erfrischung, die ihm Hunger und Durst zugleich stillte und sich rasch seinen Gliedern mitteilte.
    »Wirst du reiten können?« fragte der Alte. »Es ist nicht mehr weit.«
    Lauscher versuchte aufzustehen, und zu seiner Verwunderung fühlte er sich völlig wiederhergestellt. »Nach diesem Trank könnte ich mit euch sonstwohin reiten«, sagte er.
    Der Alte lächelte. »Das scheint dir nur so«, sagte er. »Nach einer Stunde wirst du plötzlich müde werden und sehr lange schlafen. Aber bis dahin sind wir längst bei unseren Häusern.«
    »Ich danke euch, daß ihr mir zu Hilfe gekommen seid«, sagte Lauscher. »Ihr werdet wissen wollen, wer ich bin und was mich zu euch geführt hat.«
    »Jetzt nicht«, sagte der Alte. »Dafür wird Zeit sein, wenn du dich ausgeruht hast. Rede erst dann mit dem Gast, wenn er satt ist und ausgeschlafen hat, heißt es bei uns. Steig auf dein Pferd und komm, damit dich die Müdigkeit nicht übermannt, ehe wir zu Hause sind.«
    Jetzt, wo er sich wieder frisch fühlte, fand Lauscher diesen Brauch ärgerlich. Er hätte gern gesehen, was dieser Mann für Augen machte, wenn er erfuhr, daß er den Träger des Steins vor sich hatte. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er diesen Augenblick irgendwann noch würde auskosten können, und schwang sich auf sein Pferd.
    Während sie langsam an der Grenze zwischen Steppe und Wald

Weitere Kostenlose Bücher