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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Sanfte Flöter und setzte seinen Zwicker wieder auf die Nase. »Aber es ist doch merkwürdig, daß die eigenen Leute auf einen solchen Mann erst dann hören, wenn er tot ist. Als Lebender war er ihnen wohl zu unbequem.«
    »Kommt es nicht vor allem darauf an, daß sie jetzt seinen Worten folgen?« fragte Lauscher.
    Der Sanfte Flöter schüttelte den Kopf, daß sein Zwicker ins Tanzen geriet, und sagte: »Wer weiß denn, ob sie das wirklich tun? Arni kann ihnen jetzt nicht mehr widersprechen, wenn sie seine Worte so auslegen, wie sie es für richtig halten.«
    »Ist es denn falsch, was Arnis Leute getan haben?« fragte Lauscher bestürzt; denn was Günli ihm berichtet hatte, war ihm durchaus einleuchtend erschienen.
    »Das habe ich nicht behauptet«, sagte der Sanfte Flöter, »und ich werde auch den beiden Händlern gegenüber nichts dergleichen äußern. Darüber wird man erst später urteilen können. Aber es ist immer leichter, Tote zu ehren als Lebende. Schon mancher hat sich den Namen eines Toten als Ruhmesmantel um die Schultern gelegt.«
    »Du tust ihnen sicher unrecht«, sagte Lauscher. »Im übrigen verehren Arnis Leute nicht nur einen Toten. Auch dich nennen sie den Verehrungswürdigen.«
    Als er das hörte, lachte der Sanfte Flöter, daß seine Schultern zuckten und der Zwicker bis auf die Nasenspitze herunterrutschte. Er schaute Lauscher über die Gläser hinweg an und sagte: »Sie werden Augen machen, wenn sie das zittrige alte Männlein sehen, das ich jetzt bin.« Er rückte seinen Zwicker wieder zurecht und fügte hinzu: »Mag sein, daß man bei ihnen noch immer von einem jungen Herumtreiber spricht, der eine Zeitlang Arnis Freund war. Ihre Geschichtenerzähler werden ihn inzwischen so herausgeputzt haben, daß eine verehrungswürdige Gestalt daraus geworden ist, vielleicht eine Art Zauberer, der fabelhafte Dinge zuwege gebracht hat. Aber was hat das noch mit mir zu tun? Wir haben jetzt genug geschwätzt. Gib mir die Flöte herüber, damit ich dir deine nächste Stunde geben kann.«
    So verging der Nachmittag wieder mit dem Üben von Griffen. »Deine Finger müssen die richtigen Löcher auf der Flöte so selbstverständlich finden, daß du nicht mehr darüber nachdenken mußt, wie der Ton zu greifen ist, den du gerade brauchst«, sagte der Sanfte Flöter. Unter seiner unnachgiebigen Anleitung übte Lauscher bis zum Abend einzelne Töne, Intervallsprünge und Tonleitern, und auch diesmal wurde ihm nicht erlaubt, eine zusammenhängende Melodie zu spielen. Schließlich wurde der Sanfte Flöter müde und sagte: »Genug für heute. Ich gehe jetzt schlafen. Du weißt ja, wo in der Küche alles steht, wenn du noch etwas essen willst. Ich bin nicht hungrig. Schlaf gut und träume nicht zu viel!«
    Lauscher schnitt sich in der Küche ein Stück Brot ab, bestrich es dick mit Butter und Honig, aß danach noch einen Apfel und ging dann hinauf in sein Zimmer, in dem er damals zusammen mit Barlo geschlafen hatte. Er legte sich auf sein Bett, aber er war noch nicht schläfrig und dachte darüber nach, was er tun würde, wenn sein Unterricht beim Sanften Flöter abgeschlossen war. Bisher hatten seine Vorstellungen von der Zukunft nicht viel weiter gereicht als bis zum Hause seines Großvaters. Aber heute hatte ihm Günli ein Ziel gewiesen. ›Ich halte es nicht für einen Zufall, daß wir uns hier getroffen haben‹, hatte er gesagt. Und Lauscher neigte immer stärker dazu, ihm zu glauben. Ob es sein Stein war, der ihn zu dieser Begegnung geführt hatte? Ihm schien, als sehe er plötzlich alles, was bisher geschehen war und was künftig geschehen würde, in einem neuen Licht, und er versuchte sich auszumalen, welche Richtung sein Leben durch diese Wendung der Dinge nehmen würde. Und während er so auf dem Bett lag, fielen ihm die Augen zu, und seine Gedanken verloren sich in den

Traum von Lauschers Besuch bei Arnis Leuten
    Er ritt auf seinem Pferd Schneefuß an der Grenze zwischen Waldgebirge und Steppe entlang immer weiter nach Norden; denn so viel wußte er, daß er hier irgendwo auf die Ansiedlung von Arnis Leuten stoßen mußte. Schon viele Wochen war er in dieser unwirtlichen Gegend unterwegs, und er konnte sich nicht mehr erinnern, wie viele Tage es her war, daß er sein letztes Stück Brot gegessen hatte. Nur mit Mühe hielt er sich noch im Sattel und suchte verzweifelt den Horizont nach dem Rauch aus den Hütten von Arnis Leuten ab, während im Westen die Sonne schon hinter den bewaldeten Hängen des

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