Stein und Flöte
unterwegs zu den Häusern von Arnis Leuten.« Und wie zur Erklärung dieses Vorhabens fügte er hinzu: »Mein Name ist Lauscher.«
Als er diesen Namen hörte, hob Höni den Kopf und sagte: »Meine Ahnung hat sich erfüllt. Du bist der Enkel des verehrungswürdigen Sanften Flöters, der Sohn des Großen Brüllers und – wie man uns berichtet hat – jener, den Arni – sein Name sei gepriesen bis ans Ende der Zeiten! – zum Träger des Steins erhoben hat.«
Statt einer Antwort öffnete Lauscher den Beutel, den er auf der Brust trug, und wies den Stein vor. Die beiden alten Männer standen von ihren Kissen auf und verbeugten sich tief, ohne den Blick von dem Augenstein zu lösen.
»Wir verneigen uns in Ehrfurcht vor dem Geheimnis Arnis, das wir so spät erkannt haben«, sagte Höni. »Wir verneigen uns aber auch vor dir; denn Arni – seine Weisheit möge nie bezweifelt werden! – hat dich dazu ausersehen, sein Erbe anzutreten.«
Lauscher genoß die Situation. Schließlich war es Arnis Stellvertreter höchstpersönlich, der sich hier vor ihm verneigte, und nicht nur ein belangloser Reisender wie Günli, bei dem man ein solches Gehabe für die unterwürfige Höflichkeit eines Händlers hätte halten können. Hier bei Arnis Leuten würde er nicht irgend jemand sein, der Diener eines fahrenden Spielmanns zum Beispiel oder ein Junge, über den sogar Kröten lachen, weil er noch nicht weiß, was er will. Jetzt wußte er, wo sein Platz war. Hier galt er etwas, und das nicht nur deshalb, weil er einen berühmten Großvater hatte. Er weidete sich noch ein wenig am Anblick der beiden geneigten Scheitel, des weißhaarigen und des grauen, und dann sagte er:
»Es wäre mir lieb, wenn ihr wieder Platz nehmen würdet. Im Sitzen spricht sich’s leichter.«
»Nicht, solange wir Arnis Geheimnis unverhüllt vor Augen haben«, sagte Höni. »Der Anblick zwingt uns zu einer ehrfürchtigen Haltung.«
Da steckte Lauscher seinen Stein wieder in den Beutel und bat die beiden Männer nochmals, sich wieder auf ihre Kissen zu setzen. »Nun weiß ich«, sagte er dann, »daß ich wirklich am Ziel bin; denn ich gedenke bei euch zu bleiben.«
»Dies ist für uns alle ein Tag der Freude«, sagte Höni, und man konnte seiner Miene ansehen, daß er diese Worte ernst meinte. »Wir haben auf deine Ankunft gehofft, seit uns Günli von dir erzählt hat, und als vor drei Tagen dein Esel schreiend in unsere Ansiedlung gerast kam, mit den Hufen donnernd gegen die Tür von Arnis Hütte schlug und dann mit dem Maul an den Halftern der Reitpferde zerrte, die vor den Häusern angebunden waren, da ahnte ich schon, wen wir abholen sollten; denn Günli hatte erzählt, daß du einen Esel zum Freund hast, der Jalf genannt wird.« Als er das gesagt hatte, flüsterte er Wanli etwas zu, worauf dieser sich erhob und hinausging.
»Weißt du, wo Jalf geblieben ist?« fragte Lauscher.
»Nein«, sagte Höni. »Wanli sagte, er sei in die Nacht hinausgerannt, sobald du gefunden warst, und nicht mehr zurückgekommen. Dein Pferd jedoch ist gut versorgt und steht in meinem Stall. Du wirst einstweilen bei mir wohnen, bis wir dir ein eigenes Haus eingerichtet haben.«
Während er noch redete, entstand draußen Unruhe, Stimmengewirr war zu hören, das zunehmend lauter wurde, als versammle sich eine große Menge von Leuten. Lauscher sah Männer eilig vor dem Fenster vorübergehen, einzeln und in Gruppen, und viele von ihnen schauten herüber zu dem Haus, in dem er mit Höni saß. Höni bemerkte Lauschers Blicke und sagte: »Ich habe für heute abend eine Versammlung vor Arnis Hütte einberufen, damit jeder erfährt, wer zu uns gekommen ist.«
»Muß ich zu den Leuten reden?« fragte Lauscher und fühlte sich durchaus nicht wohl bei diesem Gedanken. Wieder zuckten Hönis Mundwinkel, als wolle er ein Lächeln unterdrücken. »Vorerst genügt es, wenn du dich ihnen zeigst«, sagte er und stand auf. »Komm! Wir wollen hinausgehen.« Er ließ Lauscher den Vortritt, und sobald sie aus der Tür traten, brachen die Leute ihre Gespräche ab und blickten ihnen schweigend entgegen. Lauscher schaute sich um. Er befand sich auf einem kreisrunden, rings von festen Blockhäusern umstandenen Platz, in dessen Mitte eine altersgraue, aus rohen Stämmen errichtete Hütte stand. Mehr als hundert Männer hatten sich hier versammelt, Männer in den ledernen Kleidern der Beutereiter, aber mit glatt herabhängendem, ungeflochtenem Haar.
Höni legte die rechte Hand auf Lauschers Schulter und
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