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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Deutlichkeit, so wie man früher am Klang deiner Stimme hören konnte, ob du dich fürchtest, ob du etwas fragst oder ob du gleich lachen wirst.«
    Inzwischen war es Winter geworden, die Linden rings ums Haus hatten ihre Blätter verloren, und auf den Hügeln lag Schnee. Der Unterricht fand längst in der Stube statt. Lauscher nahm an diesen Übungsstunden zwar teil, doch sein Großvater erlaubte ihm nicht, selbst auf der Flöte zu spielen. »Erst mußt du zuhören lernen«, sagte er, »aber wenn du ernstlich vorhast, ein Flöter zu werden, will ich dir zunächst einmal zeigen, wie man Flöten baut.«
    Er führte ihn nach dem Unterricht in einen Raum auf der Rückseite des Hauses, in dem es aussah wie in der Werkstatt eines Tischlers. Aufgereiht an der Wand hingen Beile, Sägen, Bohrer, Stemmeisen und allerlei Schnitzmesser, unter dem Fenster stand eine Drechselbank, und in einer Ecke waren vierkantige Holzstücke unterschiedlicher Länge aufgestapelt. »Alles fängt mit der Wahl des richtigen Holzes an«, sagte der Großvater. »Such dir ein Stück aus!«
    Lauscher schaute sich die grob mit Beil und Säge zugerichteten Kloben an. Da gab es helles, dunkelbraunes oder rötliches Holz, manches mit glatter, dichter Maserung, anderes geflammt oder wellig gemustert. Er wählte ein Stück, dessen verschlungene Maserung sich in reizvollen Mustern auf dem braunroten Holz abzeichnete.
    »Das ist Kirschholz«, sagte der Großvater, der hinter ihn getreten war. »Sieht hübsch aus, aber das ist noch nicht alles. Unruhiges Holz hat zu viel Spannung.« Er nahm den Rohling in die Hand, klopfte mit dem Fingerknöchel auf die Spaltfläche und schüttelte den Kopf. »Versuch’s einmal mit dem Stück Ahorn hier!« sagte er und griff nach einem unscheinbaren, blassen Kantholz mit engen, parallel verlaufenden Streifen. Jetzt machte Lauscher die Klopfprobe, und siehe da: Dieses Holz gab einen hellen, schwingenden Ton.
    »Das nehmen wir«, sagte der Großvater. Er spannte das Stück in die Werkbank ein, nahm einen langen, schmalen Bohrer von der Wand und zeigte Lauscher, wie man zunächst das Flötenrohr aushöhlt. »Nicht zu viel Kraft!« sagte er. »Sonst springt das Holz.« Lauscher spürte, wie der Bohrer bei jeder Drehung wie von selbst tiefer in den Block eindrang und den Kern herausschälte, und als diese Arbeit beendet war, kam die äußere Form an die Reihe. Der Großvater rundete mit dem Schnitzmesser die Kanten des Werkstücks ab und spannte es in die Drechselbank ein. Sobald er den Wippbalken mit dem Fuß bewegte, begann sich der Rohling so rasend zu drehen, daß er schon jetzt ebenmäßig rund zu sein schien, doch erst nach und nach formte sich der schlanke Körper des Instruments, während sich unter dem scharfen Stahl feine Späne abringelten.
    So wurde Lauscher von Tag zu Tag weiter in die Kunst des Flötenbauens eingeführt, lernte die Kerbe für die Stimmlippe sauber zu schneiden, den Block für die Anblasöffnung zuzurichten und schließlich die Grifflöcher im wohlbemessenen Abstand zueinander zu bohren und so lange zu korrigieren, bis alle Töne in ihrer richtigen Höhe erklangen.
    Darüber verstrich der Winter, der Schnee schmolz, und als die Linden neue Blätter trieben, fragte Lauscher seinen Großvater, ob auch er nun endlich mit dem Flötenspiel beginnen könne.
    »Habe ich dir nicht gesagt, daß du erst einmal das Zuhören lernen mußt, um deinen Namen zu verdienen?« sagte der Sanfte Flöter.
    »Wie viele Tage noch?« fragte der Lauscher.
    »Tage?« rief der Sanfte Flöter und wollte sich ausschütten vor Lachen. »Er fragt wahrhaftig, wieviel Tage er noch zuhören muß! Jahre wird es dauern, bis du richtig zuzuhören verstehst, ungeduldig wie du bist!«
    Solche Aussichten fand Lauscher durchaus nicht erheiternd. »Und wenn ich mir besonders viel Mühe gebe?« fragte er.
    »Mühe?« sagte der Sanfte Flöter geringschätzig. »Ich sehe, du verstehst noch gar nichts. Was nützt schon Mühe? Gern mußt du’s tun, und zwar nicht, ums hinter dich zu bringen, sondern weil dir das Zuhören selbst Freude macht. Weißt du, wie lange Barlo gezwungen war, immer nur zuzuhören? Drei lange Jahre! Denn seit drei Jahren war er Knecht im Schloß von Barleboog. Und du wirst zu gegebener Zeit noch erfahren, wie schwer es ihm fallen mußte, in diesem Hause nur auf Befehle zu hören. Sage ihm, wie das war, Barlo!«
    Barlo setzte die Flöte an den Mund und begann in wilden Rhythmen verzerrte Töne zu blasen; dann ging sein Spiel

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