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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Bereich des Vernehmbaren gleitend, ohne erkennbaren Übergang. Kurz darauf verfiel Scarp in ein Lied ohne Worte, und der Reihe nach sangen die anderen mit – zuerst Horn, dann Militor, und zuletzt, mit trockensummender, monotoner Stimme Arios.
    »Was singt ihr?« fragte Breckenridge.
    »Die Hymne von Ödipus, dem König der Diebe«, sagte Scarp.
    War es so ein schlechtes Leben gewesen? Er war gesund gewesen, wohlhabend, geliebt. Sein Vater war geschäftsführender Teilhaber von Falkner, Breckenridge & Co. einem der stabilsten Häuser der Wall Street, und Breckenridge war, nachdem er in der Familientradition von der Pike auf gedient hatte, eine Zeitlang Kundenberater, eine Zeitlang in der Wertpapierabteilung, und eine Zeitlang an der Börse gewesen. Dann war er ebenfalls Teilhaber geworden, schon zehn Jahre nach seinem Examen in Dartmouth. Was war dagegen zu sagen? 1972 verdiente er 83 500 Dollar – nicht so viel, wie er aus seiner Teilhaberschaft erhofft hatte, aber nicht schlecht, durchaus nicht schlecht, und das nächste Jahr mochte viel besser werden. Er hatte eine Frau und zwei Kinder, eine Wohnung in der 73. Straße, eine Hütte am Candlewood-See, einen Zweimastsegler in einem Jachthafen an der Golfküste und eine schöne, junge Geliebte mit eigenem Apartment in der Upper West Side. Was war dagegen zu sagen? Als er durch das Gefüge des Kontinuums brach und sich in einer unvorstellbar veränderten Welt am Ende der Zeit wiederfand, erstaunte es ihn nicht, daß so etwas geschehen konnte, sondern, daß es einem Menschen zugestoßen war, der so gefestigt und solide verankert gewesen war wie er.
    Während sie schliefen, erstand auf der Krone der Stadtmauer ein Strahlenkranz goldenen Lichts; das Gleißen weckte Breckenridge, und er setzte sich hastig auf, weil er glaubte, die Stadt brenne. Aber das Licht wirkte kühl und geschmeidig und schien sich in sanften, gekräuselten Wellen auszubreiten, eher dem Nordlicht als dem rauhen Glast von Flammen ähnelnd. Es sprang von der Mauerkante hoch empor und warf verschwommene, gerundete Schatten im schrägen Winkel zu den scharfgezeichneten, festen Schatten, die der zerborstene Mond hervorrief. In der Mauer selbst schien sich überdies ein tiefes Segment der Schwärze zu befinden; Breckenridge sah genauer hin und erkannte, daß das riesige Tor in der Westmauer offenstand. Ohne den anderen etwas zu sagen, verließ er das Lager und durchquerte die flache, sandige Wüstenei, um nach etwa einstündigem Marsch das Tor zu erreichen. Nichts hinderte ihn einzutreten. Unmittelbar hinter der Mauer befand sich ein gepflasterter Platz, und dahinter erstreckten sich breite Straßen mit Gebäuden von seltsamer Art, gerundet und elastisch wie Gummi wirkend, von porösem Aussehen, ganz Buckel und Brüstungen. Schwarze, uneingezäunte Schächte in der Mitte jeder großen Kreuzung stürzten in unendliche Tiefen. Breckenridge hatte mitgeteilt bekommen, daß die Stadt leer sei, daß sie seit Jahrhunderten, nach der Verschlechterung des Klimas in diesem Teil der Welt, nicht mehr bewohnt sei, und so war er überrascht, sie doch bewohnt zu finden; blasse Gestalten huschten lautlos umher, wie Gespenster, so, als sei leerer Raum zwischen ihren Füßen und dem Pflaster. Er näherte sich der ersten, einer zweiten und dritten, aber wenn er zu sprechen versuchte, drangen keine Worte über seine Lippen. Er ergriff einen der Stadtbewohner beim Handgelenk, ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen in einem weichen, grauen Kleid, und hielt es fest umklammert, in der Hoffnung, Kontakt werde zu Kontakt führen. Ihre dunklen, ernsten Augen betrachteten ihn ohne Angst, und sie unternahm keinen Versuch, sich loszureißen. Ich bin Noel Breckenridge, sagte er – Noel III – und bin im Jahr unseres Herrn 1940 in der Stadt Greenwich in Connecticut geboren, und meine Frau heißt Merry, meine Tochter Cassandra, mein Sohn Noel Breckenridge IV, und ich bin nicht so gewöhnlich oder dumm, wie Sie glauben mögen. Sie gab keine Antwort, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er fragte: Können Sie verstehen, was ich zu Ihnen sage? Ihr Gesicht blieb völlig unbeweglich. Er sagte: Können Sie überhaupt meine Stimme hören? Keine Antwort. Er fuhr fort: Wie heißen Sie? Wie heißt diese Stadt? Wann ist sie verlassen worden? Welches Jahr ist das auf einem Kalender, den ich verstehen kann? Was wissen Sie über mich, das ich wissen muß? Sie fuhr fort, ihn auf gänzlich neutrale Weise zu betrachten. Er zog sie an sich,

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