Steine der Macht - Band 4
werden bersten vor Fülle
Das Volk ist zufrieden und jubelt dir zu
Heil Dir, oh Herrin beider Länder
Als Wolf nach der letzten der Rollen griff, meinte Rassul:
„Der Text dieser letzten Rolle, welcher von der Tochter der Hatschepsut handelt, zeigt ganz offensichtlich, dass Senenmut der Verfasser gewesen sein muss. Mit dieser Inschrift gibt er sich eindeutig zu erkennen. Hört ganz genau hin, was da geschrieben steht.“
Neferu Ra
Von Eos der Morgenröte und Chnum geschöpft
Ein Kleinod, wie Waset nie sah
Zart und doch unbeugsam dem Papyrus gleich
Ein Abbild Deiner Göttlichkeit
Behütet vom Einen geborgen bei Ihm
Das Glück einer Mutter, der Herrin Juwel
War nur eine Blüte im Winde der Zeit
Im Herzen verblieben für Dich und für Ihn
Oh Herrin der beiden Länder
Jetzt herrschte Stille im Raum und Ergriffenheit war in den Gesichtern der drei zu erkennen. Wolf begann als Erster zu sprechen:
„Vielen Dank, Rassul, wie kann ich mich Ihnen gegenüber bloß erkenntlich zeigen?“
Mit einem breiten Lächeln antwortete der Araber: „Das brauchen Sie nicht, es ist mir eine Ehre, Ihnen diese Kopien überreichen zu dürfen. Sie sind einer der ganz wenigen, die herausgefunden haben, dass unsere Kultur schon zu früher Zeit Besuch von hoch entwickelten Zivilisationen, wo immer die auch hergekommen sein mögen, erhalten hat. Zumindest habe ich das Ihren Worten im Vorjahr, als wir auf der Nilterrasse vom Sofitel Hotel in Karnak zusammen waren, so entnommen.
Möge Allah mit Ihnen sein, denn ich glaube, dass Ihr Wissen auch eine gewisse Gefahr für Sie selbst darstellt. Auch jetzt, nachdem Hamams Zeit zu Ende ist, denn es gibt bestimmt einige, denen es nicht recht ist, dass solche Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Seien Sie vorsichtig!“
„Das werde ich“, versprach Wolf feierlich und packte die Rollen sowie die drei Kristallprismen sorgfältig ein.
Es gab noch eine herzliche Verabschiedung und dann ging es weiter in Richtung Nil.
Nachdem Wolf seinen beiden Begleitern auch noch das Ramesseum, die Memnonkolosse und Medinet Habu, den Totentempel von Ramses dem Dritten, im Vorbeifahren gezeigt hatte, wollte er ihnen zum Abschluss noch etwas Besonderes bieten:
„Ich fahre jetzt nur ein paar Kilometer abseits der Hauptstraße, ihr werdet staunen, wie es im ägyptischen Land abseits der Touristenrouten aussieht.“ Wolf musste dazu auf Schleichwegen einen Polizei Checkpoint umfahren. Die Ägypter sahen es nicht gerne, wenn Touristen ins Hinterland fuhren. „Unser Fahrzeug hat ein privates Kennzeichen von Kairo, deshalb werden die Polizisten darin keine Fremden vermuten und nicht so genau hinschauen. Wir können auf diese Art unbehelligt ein paar ländliche Dörfer besuchen.“
So kam es dann auch.
Elisabeth und Herbert, die so etwas zum ersten Mal sahen, glaubten eine Zeitreise zu machen. Da war kein Asphalt mehr auf dem Weg, nein, hier wurde auf blankem Erdboden gegangen und gefahren. Die Fahrzeuge waren meist nur Eselkarren. Selten sahen sie ein Moped. Und als ihnen einmal zwischen den mehrgeschossigen Lehmbauten ein Pick-up entgegenkam, wussten sie zumindest, dass es hier noch weiterging. Das Leben spielte sich großteils im Freien ab.
Der Schuster, der Schneider und auch der Friseur verrichteten ihr Handwerk am Rand des Weges vor ihren Häusern. Kinder spielten, ein Schaf stand auf einmal vor dem Wagen, und als Wolf dann in Richtung Nil abbog, mussten sie manchmal durch einen Haufen Stroh fahren, um überhaupt noch weiterzukommen. Wolf suchte nach einer Möglichkeit, durch die Felder hindurch zur Nilbrücke zu gelangen. Er musste jetzt auch ein paar Mal Ägypter nach dem Weg fragen, wobei ihm seine bescheidenen Arabischkenntnisse zugutekamen.
„Wenn wir Glück haben, können wir heute noch mit einer Feluke am Nil herumfahren und den Sonnenuntergang genießen.“
Tatsächlich erreichten sie schon nach zwanzig Minuten das Sheraton Hotel. Dort fanden sie dann auch rasch einen Bootsführer, der sie noch eine Stunde lang auf dem Nil herumfuhr. Elisabeth und Herbert saßen eng umschlungen auf der rechten Seite des großen Segelbootes, während Wolf auf der anderen Seite saß und mit seiner Kamera das Paar fotografierte.
„Richtig romantisch! Das war eine gute Idee von dir, da kann man sich so richtig vorstellen, wie einst die Pharaonin Hatschepsut mit ihrer Barke unterwegs war“, meinte Elisabeth zu Wolf gewandt.
Erst als die Feluke wieder nilabwärts fuhr, spürten die drei
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