Steinhauer, Franziska
schien es sich bei dieser Frau zu handeln, schon erwehren können, dachte sie selbstbewusst.
„Sie sind von der Polizei. Aus Deutschland.“
„Ja.“
„Sie sind wegen dieser Satanisten gekommen, nicht wahr?“
Amalia nahm Klapproth gegenüber Platz.
Sie zog eine Schublade unterm Tisch auf und entnahm ihr einen schwarzen und einen grünen Lederbeutel.
„Geben Sie mir etwas Persönliches von sich“, forderte sie ihren Gast auf.
„Meine Uhr?“
„Ja, das reicht.“
Klapproth legte ihre Armbanduhr auf den Tisch, während Amalia das grüne Säckchen mit geschlossenen Augen schüttelte. Sie sang dabei in einer Sprache, die Klapproth nicht verstand, und die Ermittlerin fragte sich, ob jetzt nicht der Zeitpunkt gekommen war, diesem Hokuspokus ein Ende zu setzen und zu gehen. Doch sie zögerte. Die Frau hatte ihr glaubhaft versichert, sie könne ihr wichtige Dinge mitteilen. Es war kein Fehler, ihr zuzuhören, entschied sie.
Amalia riss plötzlich die Augen weit auf und kippte den Inhalt des Beutels über die Uhr. Gequält stöhnte sie auf.
„Sehen Sie, ich brauchte dieses Pflanzenorakel gar nicht erst zu befragen. Ich wusste schon vorher, dass Sie in großer Gefahr sind. Es gibt Menschen, die spüren das Schicksal anderer – ich gehöre dazu. Es ist keine besonders angenehme Gabe, müssen Sie den Menschen doch oft Dinge sagen, die sie nicht hören wollen. Dies“, sie wies auf eine Wurzel, die zuoberst lag, „dies hier ist die Blutwurz. Sie bedeutet Tod und Verderben.“
Neugierig betrachtete die Kölner Hauptkommissarin das bräunliche Pflanzenstück.
„Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben. Niemand tut das hier. Die Gertrauder kommen her und möchten von mir etwas über ihre Liebesangelegenheiten, die Zukunft ihrer Ehe, Familienentwicklung und Lebenszeit erfahren. Doch prophezeie ich Probleme, glauben sie mir nicht. Nur wenn ich von Glück spreche, gehen sie zufrieden nach Hause und warten darauf, dass meine Vorhersage eintrifft.“ Sie lachte glockenhell.
„Blutwurz. Klingt eindrucksvoll, doch woher soll diese arme Pflanze etwas von meinem zukünftigen Schicksal wissen?“
„Sie weiß es nicht! Ich weiß es!“
„Und woher? Sehen Sie, ich glaube nicht an das Schicksal“, behauptete Klapproth, der dennoch eine Gänsehaut über den Rücken kroch.
„Darin liegt das Missverständnis. Es handelt sich hier nicht um eine Frage des Glaubens.“ Amalia warf der Besucherin einen missbilligenden Blick zu. „Es ist eine Frage des Wissens“, erklärte sie. „Und denken Sie bloß nicht, es sei leicht, mit dieser Gabe zu leben! Wenn das Negative, das ich vorhergesagt habe, eintrifft, glauben die Leute, ich hätte es herbeigehext, tritt das Positive ein, nennen sie es Zufall! Man meidet mich deshalb. Die Menschen fürchten sich vor mir – ich lebe außerhalb der Dorfgemeinschaft.“
Ihre warmen Augen sahen die Fremde prüfend an, dann lachte sie. „Früher wurden die Überbringer schlechter Nachrichten oft getötet, um das Unheil vielleicht doch noch abzuwenden – ich lebe noch. Insofern habe ich Glück.“
Klapproth spürte, wie traurig ihre Gastgeberin in Wirklichkeit war.
Sie versuchte sich das Leben außerhalb einer Gemeinschaft vorzustellen. Vielleicht durften die Kinder nicht mehr mit ihr sprechen, oder ihr selbst war es verboten, Umgang mit ihnen zu haben. Möglicherweise war ihr untersagt über die Weiden zu gehen, weil die Bauern um ihr Vieh fürchteten oder glaubten, die Milch werde sauer. Gut, sie würde sich anhören, was die einsame Frau ihr zu sagen hatte, ihr das Gefühl geben, ernst genommen zu werden, und danach einfach gehen.
„Ich weiß zum Beispiel auch, dass Ihr Leben von Schuldgefühlen dominiert wird. Schatten liegen schwer auf Ihrer Seele.“
Maja Klapproth nickte zurückhaltend.
Das traf auf viele Menschen zu, die sie kannte.
„Die Blutwurz ist nur das für jedermann sichtbare Zeichen, das auf eine drohende Gefahr aufmerksam macht. Tod liegt in der Luft!“, verkündete Amalia mit dumpfer Stimme und schüttete den Inhalt des zweiten Beutels auf den Tisch. Ein munterer Wasserfall aus bunten Glassscherben ergoss sich auf das Tuch.
„Sehen Sie, auch hier liegt die rote Scherbe obenauf. Blut. Sie werden in eine blutige Auseinandersetzung geraten und dabei ihr Leben riskieren. Und dies“, sie wies auf eine grüne Scherbe, „ist unser Tal. Ich sehe es ebenfalls im Chaos versinken, leider kann ich noch nicht erkennen, was genau geschehen wird, aber es wird
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