Steinhauer, Franziska
schwieg verlegen, bereute es, dieses Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Aber nun wäre es auch feige, zu kneifen, entschied sie.
„Ja, extremer, beziehungsweise nein!“, korrigierte sie sich dann. „Für meine Eltern war es jedenfalls die schlimmste Richtung!“ Sie stockte und setzte leise hinzu, als sie an Veronika dachte: „Das liegt aber daran, dass sie keine Ahnung hatten, dass es noch schlimmer kommen kann!“
Mendetti sah sie lange an.
„Ja, Eltern“, murmelte er dann wissend.
„Mario Hilbrich ist mehrfach von seinem Vater aufs Schrecklichste misshandelt worden! Was fange ich mit ihm an, wenn ich ihn nach Deutschland zurückgebracht habe? Er ist minderjährig. Finde ich nicht sofort einen Platz in einer betreuten Wohngruppe für ihn, muss ich ihn bei seinen prügelnden Eltern abliefern“, brach es aus ihr hervor. „Ist er dann am Ende bei den Kindern Lucifers nicht besser aufgehoben? Oder sind meine Bedenken unberechtigt, weil es sich um eine brutale Sekte handelt, von deren Einfluss ich die beiden unbedingt befreien muss?“
„Ich verstehe dich. Aber noch ist nicht sicher, dass sie nicht doch Opfer einer Entführung geworden sind. Denn wenn die beiden nur wissen wollten, ob sie ihren Eltern wichtig sind, haben sie das ja schon herausgefunden und könnten nach Hause zurückkehren – oder?“
„Das hängt davon ab, wie schnell sie Informationen aus Köln erhalten. Wenn sie zum Beispiel von Zeitungen und Nachrichten aus Deutschland ferngehalten werden …“
„Wüssten sie nicht um die Entführungstheorie der Eltern und der Polizei, wären die Telefonate nicht notwendig gewesen“, gab Mendetti zu bedenken.
„Aber genau das ist ja die Frage: für wen notwendig? Notwendig für die Eltern, bei denen sich die beiden vielleicht freiwillig gemeldet haben, um sie zu beruhigen, ohne dass sie dazu genötigt worden sind? Julian Baier hat bei unserer ,zufälligen‘ Begegnung auf mich jedenfalls einen ausgesprochen entspannten Eindruck gemacht. Ich werde ihm heute noch einmal auflauern. Mal sehen, was passiert.“
„Amalia?“
„Ja. Sie hat mich im Garten angesprochen.“
„Nun, warum auch nicht. War sie freundlich?“, fragte Jakob Gumper gleichermaßen irritiert wie beunruhigt.
„Ja. Sie wollte wissen, ob ich mich noch an sie erinnere.“
„Und?“
„Eigentlich nur an ihre Mäuse“, lächelte Helene. „Sie hat mir zwei mitgebracht. Eine ist wohl für Heiko gedacht.“
„Weißt du, wo dein Bruder ist?“
„Nein. Nachdem er sich heute Nacht aus dem Haus geschlichen hat, habe ich ihn nicht mehr gesehen.“
„Hoffentlich ist er nicht in Schwierigkeiten.“
In diesem Moment wurde die Küchentür aufgerissen und Heiko stürmte herein.
„Ihr glaubt ja gar nicht, was da unten im Dorf los ist!“, rief er statt einer Begrüßung, und dann sprudelten die Neuigkeiten nur so aus ihm heraus.
Während der junge Mann aufgeregt von den spektakulären Vorgängen auf dem Friedhof berichtete, fragte Jakob sich besorgt, ob sein Sohn bei dieser Grabschändung etwa die Hände mit im Spiel gehabt hatte.
„Heiko, hast du mit dieser Sache etwas zu tun?“
Der Junge schüttelte den Kopf und antwortete empört: „Nein!“
Jakob Gumper seufzte.
Das konnte er nun glauben oder nicht. Schließlich entschied er sich für Ersteres.
„Gut. Dann werden wir nachher zusammen ins Dorf hinuntergehen und beim Metzger etwas Fleisch fürs Abendessen einkaufen“, verkündete er, und zu seiner großen Überraschung stimmten beide Kinder sofort zu.
Julian war zum Friedhof gegangen, um sich anzusehen, was für solch große Aufregung gesorgt und zur Durchsuchung aller Zimmer durch Phobius geführt hatte. Unbemerkt von der aufgebrachten Gruppe, die sich wild gestikulierend um Rosas Grab versammelt hatte, passierte er die Kirche und bog direkt am Gelände des Widums nach links ab. Ein schmaler Weg führte hier an mehreren umgestürzten und verwitterten Zaunelementen vorbei und am Grundstück des Pfarrhauses entlang.
Nach wenigen Schritten machte er Halt.
Lauschte auf die erregten Stimmen und bemühte sich zu verstehen, was die Menschen über den Fund dachten, vondem der Bäcker ihnen berichtet hatte. Ein totes Schaf auf dem Friedhof!
„Julian!“
Entsetzt fuhr der junge Mann herum und floh.
Sofort setzte die Hauptkommissarin ihm nach. „Maja Klapproth! Polizei Köln!“
Doch der Junge kannte sich im Gelände gut aus und war nach einigen hundert Metern Verfolgungsjagd zwischen den Häusern
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