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Steinhauer, Franziska

Steinhauer, Franziska

Titel: Steinhauer, Franziska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angst
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kursieren! Es ist halt wie immer. Sonst hat die Kleine zu jeder Zeit ihr Mobiltelefon zur Hand, aber wenn die Mutter sie dringend erreichen will, ist es auf einmal ausgeschaltet. Es ist bestimmt besser für dich, wenn du wieder nach Hause gehst, Amalia. Es wird nicht lange dauern, und sie behaupten, du hättest das Mädchen in einem kupfernen Kessel gekocht, um einen Liebestrank aus ihr zu gewinnen! Du weißt doch, wie schnell hier die unmöglichsten Gerüchte entstehen!“
    „Du lieber Himmel, Alois. Erst die Aufregung um Rosas Grab und nun das. Hat jemand daran gedacht, Pfarrer Weißgerber zu benachrichtigen? Was Sofie jetzt braucht, ist seelischer Beistand, keine wilden Spekulationen.“
    „Der Herr Pfarrer hat Anton Gumper die Sterbesakramente und die Letzte Ölung gespendet. Danach hat er sich auf den Weg zu einer Kindergartengruppe gemacht, die er bei ihren ersten zaghaften Versuchen, den religiösen Regeln auf die Spur zu kommen, begleitet – so hat es jedenfalls seine Haushälterin ausgedrückt. Und jetzt muss er gerade irgendwo beim Abendessen sein.“
    „Jemand sollte ihn bitten zu kommen. Alois, es ist wichtig, wenigstens einen Vernünftigen in einem Gesprächskreis Verrückter aufbieten zu können!“
    „Du bist ja richtig besorgt.“ Der Metzger wurde nun auch unruhig. „Ich kümmere mich drum!“
    Doch das war nicht mehr nötig.
    Commissario Mendetti hatte den Seelsorger bereits über die neuesten Entwicklungen informiert, und dieser versuchte nun wortreich, die stürmischen Wogen zu glätten.
    „Niemand von euch kann ernsthaft einen Überfall auf diese Sekte im Sinn haben!“, empörte er sich. „Ihr seid doch alle gute Christen …“
    „… und bietet denen, die euch ein Kind rauben, gleich noch ein zweites an!“, fiel Berta ihm ins Wort und erntete johlenden Beifall.
    „Ihr wisst sehr gut, dass ihr euch nicht einfach auf euren Nächsten stürzen dürft! Keiner von uns weiß, wo Anna wirklich ist! Die Polizei ist doch bereits eingeschaltet! Sie sucht nach Anna. Wenn ihr euch jetzt zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lasst, könnt ihr sie womöglich nie wiedergutmachen! Die Bibel lehrt uns, dass Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung sein darf!“
    „Das sagt ausgerechnet ein Vertreter der Kirche, die zu Kreuzzügen aufgerufen hat! War das etwa keine Gewalt? Gewalt im Namen der Kirche!“, protestierte Sepp energisch.
    „Willst du etwa mit der Erinnerung an die Gräuel der Kreuzzüge jetzt und hier die Anwendung von Gewalt gegen möglicherweise Unschuldige rechtfertigen? Dann hast du meinen Predigten nicht gut zugehört! Du solltest eben während des Gottesdienstes nicht immer einschlafen!“
    „Und was, Herr Pfarrer, sollen wir dann Ihrer Meinung nach unternehmen? Sie können wohl kaum erwarten, dass wir untätig zusehen, bis die kleine Anna irgendwo tot aufgefunden wird!“
    „Dann lasst uns das tun, was seit mehr als zweitausend Jahren in solchen und ähnlichen Situationen hilft!“ Der Geistliche breitete seine Arme aus und forderte mit zitternderStimme: „Kniet nieder und betet mit mir! Faltet eure Hände und öffnet eure Herzen. Lasset uns den Herrn darum bitten, Anna gesund nach Hause zu geleiten!“
    Er hob das silberne Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug, hoch über seinen Kopf, und einige der Gemeindemitglieder kamen seiner Aufforderung nach, fielen auf die Knie, schlossen die Augen und reckten die gefalteten Hände in die Höhe.
    „Herr im Himmel, es hat dir gefallen, eines unserer Lämmchen von der schützenden Herde zu trennen. Wir flehen dich an: Führe es wieder auf den richtigen Weg zurück und geleite es heim. Wir bitten: Herr, erbarme dich und bewahre unsere Anna vor jedwedem Unbill!“, betete er voller Inbrunst.
    „Herr, erbarme dich!“, echote die Gemeinde.
    „Wir flehen: Herr, erbarme dich der Mutter, die sich um ihre Tochter ängstigt!“
    „Herr, erbarme dich!“
    „Folgt mir nun in die Kirche. Wir werden uns dort zum Gottesdienst versammeln. Die Kraft unserer Gebete wird Anna nach Hause bringen. Der Herr wird uns sein Ohr leihen und sich unserer Sorgen annehmen!“
    Damit setzte er sich an die Spitze einer spontanen Prozession, das silberne Kreuz als Wegweiser erhoben.
    „Wer sich unter dem Zeichen des Kreuzes versammelt, wird erhört werden!“, versicherte er der Gemeinde, als sie in die Kälte der Nacht hinaustraten.
    Doch in diesem Augenblick geriet der Zug in Stocken. „So? Ist das so?“ Rainer hatte den Seelsorger überholt

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