Steinhauer, Franziska
bei Mutter gelernt haben? Duck dich, schweig, lass die anderen machen, erdulde! Damals haben wir uns vorgenommen, genau das nie wieder zu tun! Bei mir sieht es mit der Umsetzung dieses Schwurs eher mau aus, aber du kannst es für uns beide packen! Geh raus, Maja Klapproth, und bring die Sache in Ordnung!“
„Fabian, so einfach ist das nicht. Es werden eventuell Menschen sterben, nur weil ich die Täter nicht durchschaut habe!“
„Das Leben ist ungerecht! Du weißt, dass das Schicksal immer die Falschen trifft.“
Zum Beispiel meinen Bruder, dachte Klapproth und drängte die aufsteigenden Tränen zurück.
Fabian rollte ans Fenster.
„Diese irdische Lebensform hat das Überleben gar nicht verdient! Aber um deiner Seele willen hoffe ich, dass du die beiden schnappst!“
Wie würde sie damit umgehen, wenn morgen viele Menschen sterben mussten? Woher nahm sie die Überzeugung, die beiden Attentäter würden sich an ihr eigenes Ultimatumhalten? Dieser Schulpsychologe hatte Recht! Sie hatte nicht den geringsten Grund, den Angaben der beiden zu trauen!
Sie ließ die Suppe, die Tim für sie gekocht hatte, stehen. Ihr war jeglicher Appetit vergangen.
40
Gegen zwanzig Uhr verließ Dolorus das Haus.
Seinen wadenlangen schwarzen Mantel hatte er hochgeschlossen, Mütze, Schal und Handschuhe schützten ihn vor dem unangenehmen Wind. In der Hand trug er eine mittelgroße Tasche.
„Wie beim letzten Mal!“, zischte Klapproth dem Kollegen ins Ohr.
„Vielleicht besucht er ein Fitnessstudio“, flüsterte Paulsen zurück, „und stählt seinen Körper in der Sauna für die heißen Tage in der Hölle!“
Eilig huschte die Gestalt Richtung Innenstadt davon und verschwand zu ihrem großen Erstaunen hinter der Tür eines Obdachlosenasyls.
„Mildtätigkeit gehörte doch bislang nicht gerade zu den Zielen der Kinder Lucifers, oder? Sie halten Obdachlose doch für eine parasitäre Lebensform.“
Verwundert sahen sie ihm nach.
„Vielleicht will er eine neue Gruppe bilden“, schlug Paulsen vor, „oder er bringt den Obdachlosen verdorbene Lebensmittel vorbei. Verseucht mit Aflatoxinen oder Ähnlichem.“
„Da ist er wieder!“, rief Klapproth aufgeregt. „Sieh mal, die Tasche kommt mir jetzt deutlich leerer vor!“
„Wenn er für die Entrümpelung in der Nikolausstraße zuständig ist, hat er vielleicht alte Klamotten hier abgegeben– bunte Klamotten aus der vorsatanischen Zeit der Mitglieder.“
„Hm“, brummte Klapproth unzufrieden. „Uns muss dringend das Richtige einfallen, Malte. Uns bleiben nur noch knapp fünfzehn Stunden!“
Langsam folgten sie Dolorus, der allem Anschein nach gemütlich nach Hause schlenderte.
„Kehr um und bring uns zu diesem Asyl zurück!“, forderte sie plötzlich ungestüm. „Fahr zurück. Ich habe eine Idee.“
Murrend drehte der Kollege um.
Im Rückspiegel sah er Dolorus weiter in Richtung Nikolausstraße trotten.
Kaum hatte Paulsen den Wagen geparkt, war Klapproth auch schon herausgesprungen und im Obdachlosenasyl verschwunden.
„Das mit dem Gift sollte doch nur ein Scherz sein“, knurrte der Kollege und beschloss, die Verschnaufpause für ein Telefonat mit Michaela zu nutzen.
Als jemand an die Fahrerscheibe klopfte, fuhr er erschrocken herum.
„Maja! Du willst wohl riskieren, dass Michaela noch vor der Entbindung Witwe wird!“
„Komm!“, sagte sie nur.
Umständlich kletterte er aus dem Wagen.
„Ich habe Kevin Baumeister gefunden. Das ist dieser Satanist mit der Narbe im Gesicht. Er wurde beim Brand im Tempel verletzt. Ich habe den Betreuer hier gefragt. Er hat erzählt, dass Dolorus einmal am Tag vorbeikommt, um nach dem Mann zu sehen. Er liegt auch tagsüber hier, weil er krank ist. Vielleicht weiß dieser Kevin ja, wo Mario und Julian sind. Nimm sicherheitshalber deine Waffe mit!“
Der Betreuer öffnete ihnen die Tür zum Schlafraum.
An den Wänden entlang reihten sich je drei Betten aneinander, es gab schmale Spinde an der Stirnseite, in denen die Gäste ihre Habseligkeiten einschließen konnten.
Beinahe lautlos schlichen die beiden Ermittler an Baumeisters Bett heran.
Der Mann lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gedreht.
Klapproth fiel sofort auf, dass mit seiner Atmung etwas nicht stimmte. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Rhythmus, und das Atmen fiel dem Mann so schwer, als habe er gerade einen Marathonlauf erfolgreich beendet.
Mit zwei Schritten hatte sie das Bett erreicht und legte ihre Hand auf die Stirn des vermeintlich
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