Steinhauer, Franziska
klar, dass es wahrscheinlich keine Obduktion geben würde, um die Ursache des Herzstillstands zu klären.
Sollte sie wirklich glauben, dass es sich nur um einen Zufall handelte?Der Arm Lucifers ist lang – er erreicht dich überall, hatte eines der Sektenmitglieder gestern nach dem Gespräch mit ihr noch gemurmelt.
Maja Klapproth hatte es als Drohung empfunden.
6
„Der Jakob kommt“, freute sich Waltraud Gumper und bemerkte, wie ein flüchtiges Lächeln Antons Gesicht ein wenig aufhellte. „Er bringt auch die Kinder mit“, plapperte sie munter weiter, „Heiko und Helene. Die armen Schäfchen.“ Sie überlegte einen Moment und korrigierte sich. „Schafe! Immerhin müssen die beiden auch schon fünfzehn und sechzehn Jahre alt sein. Oder ist der Heiko gar schon achtzehn? Na, ist ja auch egal. Du lieber Himmel, wie die Zeit vergeht!“, lachte sie dann und verstummte abrupt, als ihr bewusst wurde, dass Zeit etwas war, was ihnen beiden nur noch begrenzt zur Verfügung stand.
„Ich weiß nicht.“ Anton Gumper runzelte die Stirn. „Die Kinder kommen genau zu einem Zeitpunkt zurück, in dem sie schon wieder jemanden aus der Verwandtschaft beerdigen können. Erst ihre Mutter, und nun sollen sie mir beim Sterben zuschauen – ehrlich, meine Liebe, das gefällt mir nicht.“
„Jakob hat gesagt, er möchte die beiden niemand anderem anvertrauen. Weißt du, Anton, die beiden haben so früh ihre Mutter verloren – da haben sie bestimmt eine besonders starke Bindung zum Vater aufgebaut“, argumentierte Waltraud voller Verständnis.
„Wo wirst du die drei denn unterbringen? Ist das nicht alles ein bisschen viel für dich?“ Antons Hand griff zärtlich nach der ihren und drückte sie liebevoll. Das Zitternhatte aufgehört, stellte seine Frau fest, die Schmerzen waren durch das Morphium offensichtlich erträglicher geworden.
„Er wird nicht bei uns wohnen“, erklärte sie zögernd. „Ich soll ein paar Lebensmittel einkaufen, sie nach St. Gertraud bringen und das Haus durchlüften.“
„ Er will doch nicht wirklich – auf seinem Hof wohnen?“ Das Gesicht ihres Mannes war mit einem Schlag aschfahl geworden und bildete kaum noch einen Kontrast zur weißen Bettdecke. Auf seiner Glatze bildete sich ein feiner Schweißfilm.
Waltraud sah ihn besorgt an.
„Ich konnte es ihm nicht ausreden. Du weißt doch, wie starrköpfig er sein kann. Er hat klipp und klar gesagt: Es ist mein Haus – also wohne ich auch darin. Niemand kann mir das verbieten!“
„Wissen die in St. Gertraud denn schon, dass er kommt?“
„Ich denke, ja. Man hat mich ganz sicher dabei beobachtet, wie ich die Zimmer gelüftet und ein bisschen geputzt habe. Da werden sie sich den Rest schon zusammenreimen.“
Anton starrte schweigend aus dem Fenster.
Es dämmerte bereits. Wieder war die ihm noch verbleibende Zeit um einen Tag geschmolzen. Er schloss müde die Augen. Waltraud blieb noch eine Weile neben dem Bett sitzen und hielt seine Hand. Als sie glaubte, er sei eingeschlafen, legte sie seinen Arm sanft auf die Bettdecke und erhob sich.
Sie hatte die Zimmertür gerade mit zögernden Schritten erreicht, da hörte sie ihren Mann mit fester, entschlossener Stimme sagen: „Schreib ihm, ich sei schon gestorben undbeigesetzt, er könne sich den beschwerlichen Weg sparen. Wenn er nach St. Gertraud zurückgeht, wird es Tote geben im Ultental!“
7
Mario Hilbrich fuhr auf dem Heimweg noch bei seinem Freund Julian vorbei.
Frau Baier öffnete ihm die Tür des Einfamilienhauses, rief nach ihrem Sohn und führte Mario in die Küche, die große Ähnlichkeit mit einer Zahnarztpraxis hatte. „Möchtest du vielleicht einen Kaffee? Oder Cappuccino?“
Mario nickte dankbar. Bei Julians Mutter ging es immer unaufgeregt zu, so als gäbe es nirgendwo einen Grund, sich zu ärgern oder sich Sorgen zu machen.
Er setzte sich auf einen der Barhocker am Tresen, den die Familie als Küchentisch nutzte und auf den Frau Baier nun zwei Becher vor ihm abstellte.
„Vorsicht! Heiß“, mahnte sie im Rausgehen.
Julian, der ihre letzten Worte beim Hereinkommen noch gehört hatte, verdrehte entnervt die Augen Richtung Decke.
„Immer wieder! Sie kann es einfach nicht lassen!“, zischte er giftig. „Als hätte sich in meinem Leben seit damals nichts mehr geändert! Da springst du dem Tod gerade noch einmal von der Schippe und glaubst, nun beginnt das wahre Leben, da fangen sie an, dir jede Freiheit, die du einmal besessen hast, wieder wegzunehmen!“, empörte
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