Steinhauer, Franziska
rote Narbe gewesen, die sich von seiner linken Wange quer über die Nase bis knapp unter das rechte Auge zog, hätte er rundum sympathisch gewirkt. Doch dieses Mal verlieh seinem Gesicht einen finsteren Ausdruck, denseine Freundlichkeit und sein ansonsten gefälliges Äußeres nicht vollständig wettmachen konnten.
Sorgfältig rückte er seinen Stuhl zurecht und belauschte ungeniert das Gespräch der beiden jungen Männer, die Nase tief in sein Buch gesteckt.
„Ich kann wirklich nicht begreifen, warum du dir das gefallen lässt! Wie kann er es wagen? Dafür kannst du ihn anzeigen, er wird weggesperrt, und ihr habt endlich eure Ruhe! Und überhaupt, deine Eltern bürden dir viel zu viel Arbeit auf. Wer Kinder in die Welt setzt, der soll sich gefälligst auch selbst um sie kümmern!“, empörte sich Julian und schwenkte seinen Cuba Libre. „Wenn du willst, spreche ich mal mit meinen Eltern darüber! Da kann man bestimmt etwas unternehmen. Jugendamt oder so.“
„Und wer soll dann das Geld für die Familie verdienen, wenn er im Knast sitzt? Der Lohn meiner Mutter reicht dafür nicht! Das würde das Ende meiner Schulzeit bedeuten, ich müsste vielleicht als Ungelernter auf dem Bau arbeiten. Na, das sind Aussichten! Und wenn das Jugendamt kommt, sperren sie die Kleinen ins Heim! Das ist kaum besser als Knast!“
„Trotzdem! Er hat kein Recht dazu, dich zu schlagen! Das ist verboten! Menschenverachtend!“
„Er schlägt mich ja nicht immer. Nur wenn er getrunken hat.“
„Das ist ja eine große Beruhigung!“
„Das eigentliche Problem besteht doch darin, dass sie mich ständig in den Augen der Kleinen herabsetzen und dann erwarten, dass mir die Biester trotzdem noch gehorchen. Das funktioniert so aber nicht!“ Mario spürte, wie die Wut vom gestrigen Abend wieder in ihm hochstieg.
„Wenn du mal für ein paar Tage nicht da wärst, würden sie schon merken, was sie an dir haben.“
„Nein, dann wären sie nur sauer auf mich, weil ich sie und die Kleinen im Stich gelassen habe. Oder mein Vater würde auf die Kleinen losgehen! Es reicht schon, dass er Mutter und mich verprügelt. Überhaupt sind sie am Ende immer alle auf mich wütend – egal was ich tue!“ Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Longdrinkglas. „Manchmal hasse ich sie wirklich.“
„Ja, ich meine auch! Die sind wie Kletten“, erklärte Julian bitter. „Wie hast du diesen Sprung gestern eigentlich gemacht? Weißt du, als du hinter der Zinne auf einmal über die Mauer und wieder in die Burg geschossen bist. Hast du dich da irgendwo festgehalten? Oder hast du ein spezielles Mittel für solche Tricks? Ich bin ja noch nicht auf deinem Level – kann man so was wie Zauberkräfte etwa kaufen?“, kehrte er unvermittelt wieder zur Dimension X zurück.
Kevin Baumeister zahlte. Er hatte genug gehört.
Die Freunde beachteten den Fremden nicht, als sie auf dem Weg zur Musikschule an ihm vorbeigingen. Den Gesprächsfetzen nach zu urteilen, die Baumeister in diesem flüchtigen Moment auffing, sprachen sie jedoch noch immer über den Ärger mit ihren Eltern.
Er folgte ihnen, wartete auf eine günstige Gelegenheit. Die bot sich ihm, als die beiden vor dem Gebäude der Musikschule warten mussten, weil der Unterricht anscheinend um einige Minuten überzogen wurde.
Lächelnd trat Kevin Baumeister an die beiden heran. „Hallo! Sie warten auch auf das Ende der Musikgruppe?“
Mario und Julian musterten den Fremden neugierig. „Ja. Ist Ihr Kind neu im Kurs?“, fragte Mario höflich. „Nein, nein. Bewahre! Nicht meines. Es ist die Tochter einer Freundin. Also ehrlich, Kinder, das wäre nichts für mich! Ständig diese Quengelei! Ne, ne – in meinem Leben ist kein Platz für so was!“, ließ der Unbekannte die Freunde wissen.
Wie zufällig zog er eine DVD aus der Jacketttasche und schob sie umständlich in seinen Rucksack.
„Oh – Dimension X! Das spielen wir auch oft.“
„Warrior“, stellte Mario sich vor.
„Meneater!“
„Ich bin Hunter“, erklärte der Unbekannte schlicht. „Was – Sie sind Hunter? Wahnsinn! Ich hätte ja nie gedacht, dass wir im wahren Leben mal jemanden aus dem Spiel treffen könnten! Und dann ausgerechnet Hunter! Den einzigen Krieger, dem es je gelang, den Endgegner zu besiegen! Mann! Sie haben doch letzte Woche den Herrscher des Feuers besiegt! Das waren doch Sie?“, fragte Julian beeindruckt.
„Ja. Das stimmt. Aber Warrior hat McDeath gestern einen unglaublichen Kampf geliefert! Mann gegen Mann
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