Steinhauer, Franziska
nächsten Zeit noch vorsichtiger sein als sonst.“
„Ich gebe mein Bestes!“, versicherte Baumeister eilig. „Das will ich dir auch dringend anraten, Kevin. Du weißt … aber das brauche ich dir ja wohl nicht extra zu erläutern, nicht wahr?“ Dabei lächelte Nocturnus so honigsüß, dass Baumeisters Knie zu zittern begannen und er Mühe hatte, seine Zähne am Klappern zu hindern.
Der Countdown für ihn lief bereits.
Diana, die zarte Kindfrau, war auf dem Opferstein festgebunden. Kerzen erhellten den Tempel mit sanftem, flackerndem Licht. Sie spürte, wie die Fesseln in ihre Haut schnitten, grobe Seile, die sie wund scheuerten, wenn sie versuchte, ihre Hände herauszuwinden. Der Knebel in ihrem Mund schmeckte metallisch. Blut, dachte sie plötzlich mit eindringlicher Klarheit, er schmeckte nach Blut! Ob es von ihr stammte, konnte sie nicht beurteilen, vielleicht waren ihre Mundwinkel eingerissen, als sie den Knoten festgezurrt hatten. Sie spürte die Anwesenheit einer weiteren Person, konnte sich in der Position, in der man sie fixiert hatte, aber nicht bewegen. Doch wenn sie sich konzentrierte, glaubte sie Atemzüge hören zu können.
Gierige Atemzüge.
Lüstern.
Panik schoss durch ihren Körper.
Versengte ihr Denken wie Feuer.
Diana riss die Augen auf.
Wer auch immer ihr jetzt etwas antat, würde sie dabei direkt ansehen müssen. Und sie wüsste, wer er war, und könnte später Rache nehmen!
Auch an Dirk.
Wie hatte er sie nur so schmählich im Stich lassen können! Noch Stunden nach ihrer Entführung war sie davon überzeugt gewesen, er habe Hilfe organisiert und würde kommen, um sie zu befreien.
Doch er war nicht gekommen!
Er kannte diese Leute offenbar!
Hatte ihnen seine eigene Frau willenlos, kampflos überlassen! Das Atmen wurde zum Keuchen!
„Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann rette mich!“, flehte sie in Gedanken.
Da spürte sie raue Hände.
Verzweifelt riss sie an den Fesseln, ignorierte den Schmerz, wand sich auf dem harten Stein.
„Nein!“, schrie es in ihr. „Nein!“
Die Hände streichelten über ihre Knöchel.
An der Innenseite der Beine aufwärts.
Reflexartig versuchte sie ihre Beine zusammenzupressen, was ihr aber nicht gelang, weil sie festgezurrt waren.
„Herr im Himmel! Rette mich!“
Doch die Hände strichen weiter, erreichten ihr Ziel, tasteten sich vorwärts.
Eine zweite Hand fand den Weg zu ihren Brüsten.
Nein! Zwei Hände! Und zwei andere an den Beinen! Und viele andere in ihrem Gesicht, an ihren Lenden – überall!
„Lass mich nicht das Opfer dieser Schweine werden!“
Als sich die Körper näher schoben, konzentrierte sie sich, um die Gesichter erkennen zu können – doch sie sah nur schwarze Masken!
Sie schrie.
Und hörte gleichzeitig, dass der Knebel jedes Geräusch auffing. Finger erkundeten ihren gesamten Körper.
Wehrlos ausgeliefert.
Ohne Hoffnung auf Rettung.
Ein brennender Schmerz zerriss ihren Unterleib, und Dunkelheit nahm sie vorübergehend gnädig auf.
Stunden später warf man sie aus einem Wagen auf den Gehweg.
Undeutlich erkannte sie nach einer Weile ihre eigene Haustür. „Dirk!“, glaubte sie zu rufen, wusste aber, dass sie keine Stimme mehr hatte.
Vielleicht konnte sie sich näher heranziehen, den Klingelknopf irgendwie erreichen.
An Aufstehen war nicht zu denken.
„Ein Wort von dir, und dein erstes Kind verschwindet für immer. Spurlos. Danach das zweite, deine Eltern, deine Freunde, alle, die dir etwas bedeuten“, hallte die entsetzliche Drohung in ihrem Kopf wider. Diese Stimme würde sie nie vergessen! „Du liebst doch deine Familie?“
Panisch versuchte sie, näher an die Tür zu robben.
Waren die Kinder noch im Haus? Unversehrt?
Wimmernd schlug sie ihre Fingernägel in den Spalt zwischen Tür und Hauswand.
Sie musste ins Haus!
Blut.
Überall war Blut!
9
„Jakob, es wäre bestimmt besser für euch drei, wenn ihr wenigstens heute bei uns übernachten würdet. Du bist doch sicher erschöpft nach der langen Fahrt! Bleibt hier – morgen ist es immer noch früh genug, um nach St. Gertraud zu fahren“, insistierte Waltraud, und endlich gab Jakob nach. Letztlich war es tatsächlich nicht wichtig, ob er nun heute oder morgen auf seinen Hof zurückkehrte. Die erste Hürde war genommen.
Er war zurück im Ultental!
Fast hatte er damit gerechnet, die einzige Straße ins Tal bei Lana gesperrt vorzufinden. Ein Teil von ihm traute den Bewohnern von St. Gertraud durchaus zu, Bäume zu fällen und über die
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