Steinhauer, Franziska
Würfel schneidet.
Das war ja nicht anders zu erwarten gewesen, denkt sie finster, Maria hat schon immer auf ihre Kosten gelebt, warum sollte sich das jetzt ändern? Ihre Gedanken kreisen weiter wenig liebevoll um ihre kleine Schwester, die zurzeit im Krankenhaus liegt. Das Geschrei der Kinder, die hinter dem Haus toben, geht ihr auf die Nerven.
Wie kann man Kinder nur so verwöhnen!
Wenn das die ihren wären, dann …
Aber sie selbst hat ja keine.
Maria war schon von jeher schwächlich.
Ein Problemkind von Geburt an.
Berta dagegen war anders.
Stark und gesund.
Kein Wunder also, dass sie nach dem Tod der Mutter den Haushalt übernehmen musste. So war sie über Nacht nicht nur für ein Baby und ihren Vater verantwortlich gewesen, nein, die gesamte Hausarbeit war auf sie übergegangen und ebenso die Käserei. Alles lastete auf ihren breiten Schultern, dabei war sie im Grunde selbst noch ein Kind. Wäre Maria nicht geboren worden, denkt Berta bitter, hätte ich auch ein behütetes Leben führen können. Mutter könnte noch immer den Hof versorgen und die Käserei betreiben. Aber sie schüttelt den Gedanken ab, denn es ist müßig, davon zu träumen, was hätte sein können.
Sie hat ihr Schicksal zu nehmen, wie es ist.
Und nun ist Maria krank.
„Da ist es nur logisch, dass du der Familie ein bisschen unter die Arme greifst“, äfft sie schlecht gelaunt die Stimme ihres Vaters nach.
Am schlimmsten waren diese verwöhnten Gören!
Aber bald ist der Spuk hier vorbei, tröstet sie sich, und ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Denn Maria wird sterben.
„Die alte Hanna will den Mörder der Platzgrummer gesehen haben!“
Die Nachricht explodiert unter den Stammtischgästen wie eine Bombe. Hektische Blicke werden gewechselt, jeder beäugt den anderen voller Argwohn. Keiner darf sich eine Blöße geben, will er in den nächsten Wochen nicht Mittelpunkt wilder Spekulationen werden. Misstrauen schwebt unter der Lampe wie Zigarettenqualm, abgestanden und hartnäckig.
„Und damit rückt sie jetzt raus? Nach über zwanzig Jahren? Die hat Nerven!“
„Und, wen hat sie denn nun gesehen?“, fragt ein anderer. „Das sagt sie nicht! Außerdem hat sie ihn ja nicht wirklich gesehen! Er ist ihr erschienen!“, schiebt Alexander etwas zu spät nach und löst damit allgemeine Entrüstung aus.
„Mann! Sag das doch gleich!“, mault Hans. „Die alte Hanna quatscht eine Menge Blödsinn, wenn der Tag lang ist!“
„Auch wenn er kurz ist!“, wirft Peter Pumpa ein, und die Runde lacht.
Jannis klopft auf die Tischplatte.
„Ich muss los. Meine Frau hat sich doch gestern auf dem Feld das Bein gebrochen – und es geht ihr gar nicht gut.“
Kaum schließt sich die Tür hinter ihm, sagt Manfred lapidar: „Na, der hat doch was zu verbergen! Könnt ihr euch noch an die Aussage seines Vaters seinerzeit erinnern?“
Allgemeines Kopfschütteln.
„Sein Vater wurde doch gefragt. Wegen seines Motorrads. Hätte ja sein können, dass er derjenige war, der in der Mordnacht hier mit einem Affenzahn durchs Tal gebrettert ist. Aber er hat damals behauptet, seine Maschine sei kaputt. Als die Carabinieri das überprüft haben, lief sie aber ganz schnurrig.“ Er wirft einen vielsagenden Blick in die Runde.
„Das konnte Jannis’ Vater aber erklären!“, wirft Josef ein. „Er hat gesagt, dass er den Fehler finden konnte und schon am frühen Morgen, also gleich nach der Mordnacht, behoben hat. Noch vor dem Frühstück. Es hätte an den Zündkerzen gelegen! Seine Frau hat das bestätigt.“
„Hört auf, das ist doch mehr als zwanzig Jahre her!“
„Jannis’ Mutter ist Italienerin!“
„Was willst du denn damit sagen? Hä? Meine Frau ist auch Italienerin! Und überhaupt! Wir sind alle Italiener!“, faucht Josef zurück, springt auf und krempelt sich die Ärmel hoch.
Maja Klapproth schreckte schweißgebadet auf.
In ihrem Kopf hallten noch immer die Worte, die sie in ihrer Verzweiflung geschrien hatte.
„Komm zurück!“
Nie wird sie es vergessen!
Fabian draußen auf der Brüstung des Wohnzimmerbalkons!
Und von einer Sekunde auf die andere war er verschwunden!
Nichts mehr von ihm zu sehen!
Sie wusste noch genau, wie ihre Beine nachgegeben hatten, konnte sich an das übermächtige Gefühl des Entsetzens und der Hilflosigkeit erinnern.
Und unten, auf der Straße, hatte Fabian in seinem Blut gelegen.
Damals dachte sie, da, sieh hin, du hast ihn auf dem Gewissen.
Wochenlang war sie jeden Tag zu ihm ins
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