Steinhauer, Franziska
mir einen logischen Grund, warum ich nicht in meinem eigenen Haus einziehen soll!“
„Sie wissen, dass du zurückkehrst. Komm!“
Waltraud erhob sich müde, schlüpfte wortlos in eine warme Jacke und führte Jakob zu einem entlegenen Schuppen auf dem Anwesen.
„Hier habe ich gesammelt, was in den letzten Tagen vor deinem Hoftor hing oder stand!“, erklärte sie und zog einen großen, altertümlichen Schlüssel aus der Tasche.
Laut protestierte die Schuppentür, als sie die beiden Flügel öffnete.
Jakob ächzte.
Nichts war vergessen!
Waltraud hatte Plakate und Transparente zusammengetragen.
„Haut ab!“ – „Marias Tod ist unvergessen!“ – „Wer Engel tötet, wird bestraft!“ – „Wer Mord sät, wird Tod ernten!“ – „Wir dulden keine Mörder unter uns!“ – „St. Gertraud wünscht auf Nimmerwiedersehen!“
Hilflos zuckte Jakob mit den Schultern.
„Sie haben also nahtlos an die Vergangenheit angeknüpft. Unglaublich!“
„Die Stimmung dort oben ist eine eigenartige. Zwischen Entschlossenheit und Kälte, als unterdrücke jeder einen gerechten Zorn. Marias Grab ist reich mit Blumen geschmückt,und Kerzen brennen ohne Zahl. Es ist, als ob St. Gertraud lauert.“ Sie schüttelte sich.
„Ich kann mich doch nicht auf ewig aus meinem Haus verbannen lassen!“, protestierte Jakob.
„Jakob, du kannst es doch nicht mit einem ganzen Dorf aufnehmen! Verkauf den Hof – und bleib mit den Kindern hier!“
Der Schwager drehte sich zu ihr um und sah zu seiner Überraschung Tränen in ihren Augen stehen.
„Die Kinder werden lernen, mit der Situation umzugehen.“
„Du bist so hart geworden, Jakob.“
„Vielleicht. Aber, wenn ich an damals denke …“
„Ich weiß, was damals passiert ist!“, unterbrach Waltraud ihren uneinsichtigen Schwager schroff. „Damals ist lange her, es geht um heute! Die Kinder werden in die Schule gehen müssen – und mit den gleichen Schülern zusammen in der Bank sitzen, die damals ,Mörderbrut‘ hinter ihnen hergeschrien haben! Hast du auch daran mal gedacht?“
„Nun ist es aber gut! Die Kinder werden sich durchsetzen. Diesmal haben sie einen starken Vater an ihrer Seite!“ Doch dann fühlte er auf einmal Scham in sich aufsteigen. Er hatte kein Recht, Waltraud, die nur um sie besorgt war, so unfreundlich anzugehen. „Hör zu“, setzte er schuldbewusst hinzu, „wenn uns irgendetwas da oben bedrohlich vorkommt, kehren wir zu euch zurück. Einverstanden?“
„Willst du damit sagen, du findest das hier nicht bedrohlich? Oder beängstigend? Nein?“ Sie wies auf den Inhalt des Schuppens.
„Jeder von uns dreien hat ein Handy. Wir können also jederzeit Hilfe holen, wenn etwas passiert!“, unternahm ereinen weiteren halbherzigen Versuch, Waltraud zu beruhigen.
„Und was ist, wenn ihr dazu gar keine Chance mehr habt? Man muss euch das Handy doch nur abnehmen!“
„Ich glaube, du hast dich da in etwas verrannt! Wir befinden uns nicht in Gefahr! Das sind doch nur Worte! In St. Gertraud leben schließlich keine blutrünstigen Monster!“
„Woher willst du das wissen? Du bist seit Ewigkeiten nicht mehr da gewesen!“, gab seine Schwägerin halsstarrig zurück.
„Nocturnus?“ Phobius klopfte zurückhaltend.
„Ja!“
„Ich sollte doch einen neuen Ort für uns finden, einen, der wirklich zu uns passt.“
„Ja, eine stabile Basis für unsere großen Pläne.“
„Nun – ich habe einen gefunden“, verkündete Phobius mit so unverhohlener Begeisterung, dass Nocturnus interessiert von den Papieren auf seinem Schreibtisch aufsah.
„So?“
„Wir könnten doch auch im Ausland eine Basis gründen.
Ganz nah an der Grenze, sodass man innerhalb kurzer Zeit nach Deutschland zurückkehren und trotzdem von dort aus alle Aktivitäten wie gewohnt fortsetzen kann. Und so einen Ort habe ich gefunden – in Südtirol. Im Ultental. Einen Ort mit ,Geschichte‘, einen Ort, in dem Satan schon seit Langem wirkt.“
Lächelnd legte Nocturnus seinen Stift aus der Hand. „Berichte!“
Und das tat Phobius in aller Ausführlichkeit.
Berta Pumpa steht in der Küche ihrer Schwester und kocht.
„Klar, wenn Not am Mann ist, darf Berta kommen und helfen! Madamchen ist krank, und wer soll’s richten? Berta! Und so hat die Berta auf einmal zwei Haushalte gleichzeitig zu versorgen! Aber was macht das schon – die Berta ist stabil, der kann man das ohne Probleme zumuten!“, schimpft die ungewöhnlich große Frau vor sich hin, während sie ein Stück Fleisch in
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