Steinhauer, Franziska
zweitens hat ihn die schwere Krankheit retardiert.“
„Meine Frau meint, Julian sei etwas unreif“, verdeutlichte der Vater ihre Erklärung.
„Du musst nicht immer alles wiederholen, was ich sage! Ich drücke mich durchaus verständlich aus!“, herrschte seine Frau ihn an und verzog beleidigt das Gesicht.
„Was ich eigentlich damit sagen wollte, war, dass es schwierig sein kann, einen siebzehnjährigen wieder nach Hause zurückzubringen. Manchmal weigern sie sich“, unterbrach Klapproth die innerfamiliäre Auseinandersetzung.
„Das sagen Sie, weil Sie glauben, Julian sei weggelaufen! Aber das ist er nicht! Das hätte er nie getan – ganz abgesehen davon, dass er auch nicht den mindesten Grund dazu hatte.“
„Nun, was glauben Sie, ist den beiden dann passiert?“
„Nun, das liegt doch wohl auf der Hand! Die beiden wurden natürlich entführt!“
Malte Paulsens Gespräch mit Familie Hilbrich erwies sich als ähnlich schwierig.
„Ja, ja, da stimmt schon. Mario und Julian sind von Kindheit an befreundet. Die kennen sich schon ewig!“
„Mario ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen“, tastete sich Paulsen wieder an das Thema heran.
„Ja, das ist wahr. Aber mit dem Jungen stimmt schon länger was nicht“, schimpfte Frau Hilbrich und reichte ihrer kleinen Tochter ein Buch, damit sie aufhörte, an ihrer Jacke zu ziehen und zu jammern.
Das Kind fing an zu blättern, und Frau Hilbrich zog rücksichtslos die Ärmel ihres Pullovers unter der Jacke hervor, bis sie ihr über die Hände reichten.
„Lass das gefälligst!“, zischte Herr Hilbrich sie an und schlug seiner Frau kraftvoll auf die Finger.
Sprachlos beobachtete Paulsen, was da vor sich ging. „Was genau stimmte denn nicht mit ihm? Hat sich sein Verhalten verändert? Oder seine Stimmung? Hat er neue Freunde mit nach Hause gebracht?“
„Na, das fehlte gerade noch, dass er anfängt, seine Freunde mit nach Hause zu bringen!“, empörte sich die Mutter.
„Beides!“, bellte der Vater dazwischen. „Beides hat sich geändert! Stimmung und Verhalten! Er hat gewisse Aufgaben in unserem Haushalt zu erledigen – und die hat er einfach schleifen lassen. Man konnte sich überhaupt nicht mehr auf ihn verlassen! Zum Beispiel die Kleine aus dem Kindergarten abholen! Er hat es einfach nicht gemacht! Meine Frau musste von ihrer Arbeitsstelle weg das Kind holen gehen, weil sie von den Erziehern angerufen wurde! Wenn Vater und Mutter arbeiten, kann man wohl erwarten, dass der Älteste im Haushalt mit anpackt und sich um die Kleinen kümmert! Oder eben mal einkaufen geht! Das ist doch nicht zu viel verlangt! Aber der Rotzlümmel verkündetmir doch zuletzt eines Morgens, wer Kinder in die Welt setze, der solle sich gefälligst auch selbst um ihre Aufzucht bemühen und diese Aufgabe nicht auf andere abschieben! Sagt der mir! Einfach so ins Gesicht!“
„Reg dich nicht so auf, Herbert! Du weißt, das tut dir nicht gut!“, mahnte die besorgte Ehefrau. „Es ist Gift für seinen Blutdruck!“, erklärte sie dem verwirrten Paulsen. „Denken Sie nur, neulich hat Mario es sogar gewagt, seine Hand gegen den eigenen Vater zu erheben! Die blauen Flecke sind jetzt noch zu sehen!“, erklärte sie dem verwirrten Paulsen.
„Seit einiger Zeit ist er abends immer unterwegs. Obwohl ihm das unter der Woche streng verboten ist. Der Junge hat sich in der Schule nicht genug Mühe gegeben, der müsste eigentlich mehr lernen. Stattdessen hört er Musik und spielt am Computer! So wird das nichts! Aber wenn wir ihn darauf angesprochen haben, hieß es immer nur, es läge an uns, wir würden zu viel von seiner Zeit für den Haushalt beanspruchen. Lächerlich! Wenn er die Kleinen abends ins Bett gebracht hat, bleibt ihm doch noch immer ausreichend Zeit für seine eigenen Hausaufgaben. Wenn er sich allerdings nachts rumtreibt, ist das nun wirklich schlecht für die Schule!“
„Nun ja. Mit siebzehn gehen die Jugendlichen schon mal gerne aus. Das ist ganz normal“, wagte Paulsen einzuwenden.
„Papperlapapp! Wer rumsäuft und sich mit Mädchen abgibt, vernachlässigt die Schule! Das war schon immer so – und hat auch schon immer in die Katastrophe geführt!“, widersprach Herr Hilbrich entschieden.
„Und seit gestern ist er also verschwunden?“
„Ja. Das Frühstücksgeschirr hat er ungespült auf demTisch stehen lassen. Na, der kann was erleben, wenn er nach Hause kommt!“ Frau Hilbrich nahm ihre quengelnde Tochter auf den Schoß. „Wir mussten beide extra
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