Steinhauer, Franziska
wenn ich mich uninteressiert gebe.“
„Aber Sie haben Julian durch die Blume zu verstehen gegeben, dass Sie es wissen.“
„Tja.“ Frau Baier lächelte nervös. „Es kann schon sein,dass er die eine oder andere Bemerkung von mir so interpretiert hat.“
„Er war in der letzten Zeit auch oft aggressiv. Hat richtig zornig und patzig reagiert, wenn man etwas zu ihm gesagt hat, was ihm nicht passte. Aber ich dachte, das wäre nur die Pubertät.“ Herr Baier sah Klapproth fragend an.
„Möglich. Also gut, ich verständige die Kollegen, die dann eine Leitung zur Überwachung Ihres Telefons freischalten. Wir können alle ankommenden und abgehenden Gespräche, die von diesem Anschluss geführt werden, mithören. Es sollte ab jetzt immer jemand zu Hause sein – schon für den Fall, dass Julian zurückkommt oder etwas für Sie abgegeben wird. Lässt sich das einrichten?“
„Ja. Das ist kein Problem. Meine Frau wird zu Hause bleiben“, meinte Herr Baier. „Ich kann meine Firma leider nicht so einfach sich selbst überlassen. Wenn der Chef nicht da ist, fehlt schnell die richtige Motivation bei den Mitarbeitern.“ Er lächelte nachsichtig.
„Unser Technikerteam wird versuchen, einen eventuell eingehenden Anruf des oder der Entführer zurückzuverfolgen“, informierte Klapproth Frau Baier. „Halten Sie im Falle eines Kontakts den Anrufer möglichst lange hin, damit wir ausreichend Zeit haben, den Standort des Anrufers zu ermitteln.“
Frau Baier nickte.
Als Maja Klapproth die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, stöhnte sie leise auf.
„Nun? Getürmt, entführt oder gar getötet? Was glaubst du?“, fragte Malte Paulsen und zog die linke Augenbraue hoch.
„Tja, schwer zu entscheiden. Julians Eltern sind fest davon überzeugt, dass ihr Sohn entführt wurde.“
„Marios Eltern nicht. Sie glauben eher an ein ,Abtauchen‘ ihres Sprösslings, durch das er sich seinen häuslichen Verpflichtungen entzieht. Und ich glaube, dass sie damit gar nicht so falsch liegen. Der Junge hatte es einfach satt, in seiner Familie ,Mädchen für alles‘ zu sein. Finanziell hätte ein Entführer bei den Hilbrichs nichts zu holen. An ein Tötungsdelikt hatten sie noch gar nicht gedacht!“
„Bei den Baiers ist durchaus Geld vorhanden. Hast du schon mal überlegt …“
„Ja, habe ich!“, fiel Paulsen ihr ins Wort und grinste. „Frau Hilbrich meinte allerdings, ein Entführer, der zwei Jugendliche entführt, wenn er nur einen will, müsse ganz schön blöd sein.“
„Was aber, wenn der Täter eines der Opfer einfach getötet hat, um die Doppelbelastung los zu sein und das andere dadurch mutlos und gefügig zu machen?“
16
Jakob riss die Tür schwungvoll auf.
Mitten in der Scheune auf dem Boden stand ein Kassettenrekorder.
Dahinter entdeckte er das Bett, in dem Maria gestorben war.
Eine Strohpuppe lag darin, bekleidet mit einem von Marias Nachthemden – eine vergrößerte Fotografie von ihr war der Puppe als Maske über den Kopf geschoben worden.
Es war, als sei sie zurückgekehrt.
Tausende Stimmen wisperten aus dem Rekorder und verdichteten sich zu einer schier undurchdringlichen Mauer aus Worten.
Bösen Worten.
„Mörder“, „Du wurdest gesehen“, „Wir wissen Bescheid“, „Nimm deine Kinder und verschwinde von hier, solange es noch geht“, „Wir wollen euch nicht hier“, „Jakob Gumper, du bist ein Mörder“.
In seinem Kopf rückten die Worte immer enger zusammen, bis sie sein gesamtes Denken ausfüllten. Jakob hielt sich verzweifelt die Ohren zu.
Noch bevor eine neue Welle der Depression die Oberhand gewinnen konnte, kämpfte sich sein jahrelang in Schach gehaltener Zorn in sein Bewusstsein zurück.
Was wussten diese Dörfler denn schon!
Sie waren ein Haufen verblendeter Idioten!
Wild sah er sich im Schuppen um – entdeckte ein Eisenrohr und packte zu. Rasend vor Wut zertrümmerte er mit einem lauten Aufschrei den Rekorder und brachte damit die bösen Stimmen zum Schweigen.
Erschöpft setzte er sich danach auf das Bett neben die Puppe und schloss sie hemmungslos weinend in die Arme.
„Warum hast du mich nur mit all dem alleingelassen? Maria, ich habe dich doch geliebt! Wenn es einen Himmel gibt und du nun dort bist, dann sieh nach St. Gertraud hinunter und unternimm endlich etwas!“ Er konnte ein wildes Schluchzen nicht unterdrücken. „Maria! Wir gehören hierher, es ist unsere Heimat! Es ist unser Zuhause! Es kann dir doch nicht gleichgültig sein, was hier geschieht! Das
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