Steinhauer, Franziska
Holzstange, mit der Faust – was gerade zur Verfügung stand? Nein? Tja, dann fragen sie Herrn Hilbrich doch mal danach! Mario hatte es so satt! Unendlich satt!“, stellte sie wütend fest. Als sie merkte, dass sie sich völlig in Rage geredet hatte, wurde sie rot bis unter die Haarwurzeln. Maja Klapproth war Marios Freundin ausgesprochen sympathisch.
„Das werden wir, mit Sicherheit! Aber Mario hat sich tatsächlich verändert, nicht wahr?“, hakte die Hauptkommissarin noch einmal freundlich nach.
„Ja, hat er. Nicht mir gegenüber, eher allgemein. Er wollte stark sein und sich nicht mehr ausbeuten lassen, seine eigenen Interessen durchsetzen. Ich habe nicht immeralles von dem, was er gesagt hat, verstanden – aber das musste ich ja auch nicht.“
„Und er hat mit keinem Wort erwähnt, dass er untertauchen wollte?“
„Nein. Entweder ist etwas passiert, oder sie haben sich sehr spontan dazu entschieden. Aber in dem Fall hätte Mario mich wissen lassen, dass es ihm gut geht.“
Maja Klapproth sah das ähnlich. Wenn ihre Beziehung so eng war, hätte er seine Freundin nicht im Ungewissen gelassen.
„Einen verzweifelten Eindruck machte er auch nicht?“
„Nein! Er war wütend auf seine Eltern und begeistert von dieser neuen ,Familie‘, wie er die Sekte nannte. Hören Sie, wir lieben uns, da ist kein Platz für Suizid, falls Sie das denken! Er wusste ja, dass ich jeden Weg mit ihm gemeinsam gehen würde. Wahrscheinlich trete ich auch in diese Sekte ein, das vereinfacht alles. Und Julian? Der kommt erst recht nicht auf so eine Idee! Der sucht nach dem ultimativen Kick – nicht nach dem Tod! Ich glaube eher, es ist etwas passiert. Vielleicht haben die beiden ja versucht, als Geisterfahrer auf der Autobahn zu fahren. So etwas entspricht den beiden schon eher. Den ultimativen Kick erleben!“ Wieder glitzerten Tränen in ihren Augen. Sie zerrte ein neues Taschentuch aus der Jacke und begann hemmungslos zu schluchzen. Klapproth nahm die zarte Gestalt liebevoll in die Arme. „Ich habe so schreckliche Angst, dass die beiden tot sind! Verunglückt bei irgendeiner schwachsinnigen Mutprobe!“
„Hör zu, wir suchen die beiden. Sind sie weggelaufen, dann wird sich Mario sicher bei dir melden. Julians Eltern glauben, dass ihr Sohn zusammen mit Mario entführt wurde. Könntest du dir das auch vorstellen?“, fragte sie vorsichtig weiter.
Als Yvonne den Blick wieder hob, waren ihre Augen von ihrem grün schillernden Lidschatten verschmiert. Sie sah Klapproth verblüfft an, lächelte dann aber versonnen. „Nein. Nicht, wenn Mario bei Julian war. Er ist stark. Da hätte schon eine ganze Gruppe beschließen müssen, die beiden zu kidnappen. Nein. Niemand entführt Mario Hilbrich, nicht einmal aus Versehen. Statt gegen einen so gut gebauten zweiten Kerl mit antreten zu müssen, hätten sie lieber auf eine bessere Gelegenheit gewartet. Mario ist stark wie ein Bär“, flüsterte sie.
„Hat Mario ein Handy?“
Yvonne schwieg.
„Hat er? Wir haben nämlich seine Nummer nicht.“
„Nein“, antwortete Yvonne dann mit fester Stimme, „und egal was Ihnen die Baiers erzählt haben: Julian ist der Psychopath von den beiden. Mario lässt sich nur immer wieder von ihm mitreißen.“
Frau Ehrenfried, die Rektorin des Erich-Kästner-Gymnasiums, sah die beiden Ermittler irritiert an.
„Julian Baier und Mario Hilbrich? Ja. Das sind meine Schüler. Haben sie etwas angestellt?“
„Sie sind seit gestern verschwunden. Wir möchten ein bisschen mehr über die beiden erfahren“, erklärte Paulsen, und Frau Ehrenfried runzelte die Stirn.
„Wenn das so ist, würde ich gerne unseren Schulpsychologen zu diesem Gespräch dazubitten. Moment.“
Sie verschwand über den Gang, kehrte aber schon wenige Augenblicke später wieder mit einem Herrn mittleren Alters zurück.
„Darf ich Ihnen Herrn Dr. Ulf Mendes vorstellen? Er führt mit unseren Schülern in den entsprechenden AltersstufenLeistungs-und Intelligenztests durch, die ihnen bei der Wahl der richtigen Ausbildung behilflich sein sollen. Darüber hinaus ist er natürlich unser Ansprechpartner bei Problemen jeder Art.“ Sie schmunzelte und sah dadurch ein bisschen weniger streng aus.
Das Büro, in das Dr. Mendes die Gruppe nun geleitete, war klein, hell und gemütlich.
„Worum geht es eigentlich?“, wollte der Psychologe mit grauen Stoppelschnitt, schlichter Brille und buntem Strickpullover wissen, und Klapproth informierte ihn über das Verschwinden der
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