Steinhauer, Franziska
gute Lösung für ihn gewesen, doch nachdem er sich dabeiimmer wieder in Gefahr brachte, lehnten seine Eltern jede weitere sportliche Betätigung ihres Sohnes ab.“
„Aber im Gegensatz zu Mario ist er nicht suizidgefährdet?“, fragte Klapproth und war betroffen von den familiären Abgründen, die sich vor ihnen auftaten.
„Nun, ihm wäre durchaus zuzutrauen, dass er sich umbringt, nur um sich an seinen Eltern zu rächen. Um zu zeigen, dass man die Betreuungsfesseln noch so eng ziehen und trotzdem nicht verhindern kann, dass man den Gefesselten verliert. Man könnte sagen, beide Jungs leiden unter den Aggressionen ihrer Eltern. Bei Mario tritt es nur deutlicher zutage. Er wird sichtbar drangsaliert, geschlagen und bestraft. Bei Julian ist es subtiler. Wenn ich mir anmaße, jemanden derart zu kontrollieren, zu bevormunden und ihn wie ein Kleinkind zu behandeln, zeige ich ihm damit meine Macht und Stärke. Ich sage, was gemacht werden darf und was nicht, ich lege die Regeln fest. Julian wird ebenso unterdrückt wie Mario – nur anders. Die Wirkung auf die Psyche ist eine ähnliche. Die Eltern provozieren Ablehnung und Auflehnung. Können sich die Kinder nicht befreien und müssen womöglich erkennen, dass ihre Situation ausweglos ist, entwickeln sich Depressionen und suizidale Tendenzen. Bei beiden zeigen sich masochistische Verhaltensweisen – und da sie jeweils im anderen den einzigen Freund gefunden haben …“, erklärte Dr. Ulf Mendes und sah dabei die Kripobeamten an, als wolle er sich davon überzeugen, dass sie ihm noch folgen konnten. „Es ist gerade so, als ob sie Frustrationen sammeln und in einen Sparstrumpf pakken, so wie andere Leute Zweieuromünzen.“
„Bei Mario kommt noch erschwerend hinzu, dass eine Frustration die nächste bedingt. Wenig Zeit für die Schule bedeutet schlechte Noten bei Tests und Klausuren,schlechte Zensuren führen zur Herabsetzung innerhalb der Familie, das sorgt wiederum für eine Abnahme der Motivation und verstärkt das Gefühl, dass alle Bemühungen sinnlos sind. Er lässt sich weiter von der Familie ausnutzen – hierin zeigt sich dann wieder sein Masochismus –, seine Eltern bestätigen ihm, wie gering sein Wert ist, und so beginnt der Kreislauf von vorn“, fügte Frau Ehrenfried hinzu.
„Wir müssen also eine dritte Variante mit einbeziehen: Die beiden sind verschwunden, um gemeinsamen Suizid zu begehen“, schlussfolgerte Klapproth bestürzt.
„Durchaus denkbar“, bestätigte Mendes.
„Immer noch kein Kontaktversuch der Entführer! Weder bei den Hilbrichs noch den Baiers hat sich jemand gemeldet!“ Klapproth schob ihr Handy wieder in die Hosentasche. „Vielleicht, weil es gar keine Täter gibt, vielleicht, weil bei der Entführung etwas schiefgegangen ist und die beiden ermordet wurden. Oder sich doch selbst umgebracht haben. Wir müssen ihre Computer checken. Vielleicht finden wir in ihren E-Mails oder auf den Websites, die sie angeklickt haben, ja irgendwelche Hinweise. Internetforen zum Thema Selbstmord zum Beispiel. Gibt es nicht sogar ganze Gruppen, die sich irgendwo versammeln, um gemeinsam zu sterben? An irgendeinem spektakulären Ort – du weißt schon, Niagarafälle oder Brooklyn Bridge.“
„Ich sorge dafür, dass ihre Rechner abgeholt und kontrolliert werden. Wenn es etwas darauf zu finden gibt, werden die Kollegen es aufspüren, da bin ich mir sicher. Die ganze Angelegenheit ist höchst seltsam – aber ich glaube immer noch, dass die beiden untergetaucht sind“, meinte Paulsen.
„Eine Variante ist im Moment so wahrscheinlich wie dieandere. Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie einfach weggelaufen sein sollen.“
„Kurzschlussreaktion. Irgendein Ärger mit den Eltern, die Welt ist ungerecht, wir werden euch schon beweisen, was in uns steckt …“
„Ja, ja, das ist mir nur zu bekannt! Aber Yvonne hat Recht: In diesem Fall hätte Mario ihr eine Nachricht zukommen lassen. Und wenn er seinen Tod geplant hat, hätte er ihr einen Abschiedsbrief geschickt, irgendeine Erklärung! Meinst du nicht auch?“
„Der kann ja noch kommen. Stellt dir vor, die beiden Jungs sind noch unterwegs. Dann mailt er ihr erst am Zielort ein paar Zeilen. Und irgendwie kann ich einfach nicht an Selbsttötung glauben, nenn es Intuition oder sonst was, aber so ist es ganz einfach.“ Malte Paulsen zuckte mit den Achseln.
„Was ist mit Nocturnus und Lucifers Kindern? Mario sieht sie offensichtlich als seine neue Familie an! Wenn ich dabei an Nocturnus
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