Steinhauer, Franziska
denke … Hu, den als ,Vater‘? Also, ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde.“
„Du bist vielleicht nicht anfällig für das, was solch eine Gruppe ausmacht. Die beiden waren schrecklich unzufrieden, und endlich bot sich ihnen eine Chance, Mitglied einer Vereinigung zu werden, die geheimnisumwittert, Furcht einflößend und exklusiv ist. Mit Zwang zur Geheimhaltung, wie bei einer Loge. Mir hätte das damals in ihrem Alter auch gefallen. Es existieren sicher Aufnahmerituale, und man muss Mutproben bestehen. Klingt nach großem Abenteuer.“
„Vor ungefähr drei Jahren gab es eine Mädchenbande, die von ihren Mitgliedern verlangte, andere zu überfallen und zum Beweis des Erfolgs jeweils den linken kleinenFinger des Opfers mitzubringen. Als man das Hauptquartier der Bande fand, standen in einem Regal sechsundzwanzig Glasbehälter mit den entsprechenden ,Erfolgsnachweisen‘.“ Maja Klapproth grinste über Paulsens entsetzten Gesichtsausdruck.
„Abgetrennte Finger? Du liebe Güte! Meine Gang hat gerade einmal verlangt, dass wir beim Aufnahmeritual einen Mehlkäfer essen.“
Maja Klapproth sah Paulsen interessiert an. „Hat er geschmeckt?“
Er verzog das Gesicht. „Nein. Aber so richtig erinnern kann ich mich nicht mehr daran – dazu war ich während der Aufnahmezeremonie viel zu aufgeregt.“
„Yvonne hat erwähnt, die beiden seien Anwärter – das bedeutet, dass es eine strenge Hierarchie innerhalb der Gruppe gibt und sie sich praktisch hocharbeiten müssen.“
„Ja, so habe ich das auch verstanden. Du fängst klein an und steigst immer weiter auf.“ Paulsen grinste. „Wie bei der Polizei.“
„Stimmt!“
Maja Klapproth dehnte die Worte, während sie überlegte: „Schwarze Messen auf dem Friedhof, finstere Rituale im Tempel mit Fratzen an den Wänden – wäre das nicht schon mal genug für den Anfang?“
„Ja, die beiden tragen seit Neuestem schwarze Kleidung und fordern Respekt – Mario hat sich wohl sogar gegen den übergriffigen Vater gewehrt“, bestätigte Paulsen.
„Es ist auffällig ruhig geworden in der letzten Zeit. Nach der Sache mit dem geopferten Baby und dem Feuer im Seniorenheim haben wir nichts mehr von Lucifers Kindern gehört. Ich denke, wir sollten ihnen einen weiteren Besuch abstatten.“
„Also fahren wir hin?“
„Ja. Die Sekte ist im Moment unser einziger Ansatzpunkt. Und wenn ich mich vor meiner Familie verstecken will, liegt doch nichts näher, als meine neuen Freunde zu fragen, ob ich nicht ein paar Tage bei ihnen bleiben kann, oder?“
„Sehe ich auch so“, lachte Paulsen, „Ich wollte meiner Mutter auch mal einen Denkzettel verpassen. Sie sollte sich so richtig Sorgen um mich machen. Ich versteckte mich im Zimmer meines besten Freundes – aber seine Mutter hat mich noch am selben Nachmittag wieder zu Hause abgeliefert. Das war sehr frustrierend.“
„Lucifers Kinder schlafen um diese Zeit noch. Sprechen wir also zuerst mit der Sachbearbeiterin im Jugend-und Sozialamt.“
Marita Wolf seufzte tief.
„Mario Hilbrich? An den Fall kann ich mich noch gut erinnern. Es ist manchmal wie verhext: Sie sehen das Problem, und dennoch sind Ihnen die Hände gebunden. Sehr unbefriedigend.“
Ihre Finger mit den langen rot lackierten Nägeln huschten über die Tastatur ihres PCs. Marita Wolf war der Hauptkommissarin spontan unsympathisch, ohne dass sie wirklich zu sagen gewusst hätte, warum.
„Der Junge ist verschwunden. Die Schule hat uns an Sie verwiesen.“
„Hier ist ja die Datei. Mario Hilbrich.“ Die Sachbearbeiterin fuhr sich durch die blonde Dauerwelle und rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. „Ja, wie gesagt – eine unerfreuliche Geschichte. Es gab schon seit einiger Zeit Hinweise, die aus der Nachbarschaft der Familiekamen. Man machte sich Sorgen, die Eltern seien der Erziehung der Kinder nicht mehr gewachsen, würden sie vernachlässigen. Aus dem Kindergarten lag uns ein Hinweis vor, eines der Mädchen zeige Spuren körperlicher Züchtigung. Doch der Arzt, der das Kind untersuchte, konnte diesen Verdacht nicht verifizieren. Das Jugendamt zog sich wieder zurück. Eines Abends wurde dann die Polizei alarmiert. In der Wohnung der Hilbrichs würde jemand brutal zusammengeschlagen, man höre Schreie und Stöhnen und lauten Streit. Natürlich fuhr eine Streife hin. Die Beamten fanden einen Jungen mit Platzwunden am Kopf und im Gesicht vor. Er erbrach ein blutiges Sekret in die Toilettenschüssel. Vom Vater keine Spur. Von den
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