Steinhauer, Franziska
durchbrechen.
„Und der Jakob? Der hat die Strohpuppe einfach verbrannt,die wir ihm in den Schuppen gelegt haben. Jetzt ist die Maria schon zum zweiten Mal von ihm getötet worden! Was machen wir mit dem Jakob?“, kreischte Berta. „Das können wir nicht dulden!“
„Am besten wäre, der Satan nähme seine schwarze Seele auch gleich mit!“, polterte der zornige Bäcker und stapfte aus dem Zimmer.
Alle sahen ihm nach.
„Kapitalistisches, geldgieriges, skrupelloses Schwein!“, murmelte jemand laut vor sich hin.
„Kennen Sie den Mann?“
Ein mürrisches Gesicht schälte sich aus den Schichten des löchrigen Schlafsacks. Die Gestalt kniff die Augen zusammen, betrachtete das Foto im Schein von Klapproths Taschenlampe und nickte.
„Klar. Wer will das wissen?“
„Die Polizei!“ Klapproth zog ihren Ausweis hervor und hielt ihn dem Fremden unter die Nase.
„Aha. Scheint ja zu stimmen.“
„Sie kennen ihn also?“
„Ja, den kennt jeder! Das ist Manfred Krause! War mal Lehrer. Ist ein guter Kumpel von Günter.“
„Und wo finde ich Günter?“
„Haben Sie nicht gerade gesagt, Sie sind von der Polizei?“, lacht der Mann keckernd.
„Manfred Krause wurde ermordet!“
„Ach je! Der war das? Gibt ja immer viele Gerüchte und jede Menge Geschwätz. Aber das hätte ich nun nicht gedacht!“
„Warum nicht?“
„Nun, Manfred war einer von den Stillen. War nahezuunmöglich, mit ihm Streit zu kriegen. So ein bisschen wie Jesus, verstehen Sie? Der hat sich nicht reizen lassen, blieb immer friedlich. Der hat sich nicht mal gewehrt, als vor ein paar Monaten so ein Schnösel seinen Köter auf ihn gehetzt hat.“ Der Mann schwieg und meinte dann: „Ein bisschen so, als müsse er für etwas büßen.“
Maja Klapproth leuchtete mit ihrer Taschenlampe alle Winkel des Raumes aus. In diesem Zimmer des Abbruchhauses waren die Fensteröffnungen mit Brettern vernagelt. Dennoch zog ein eisiger Wind durch die Ritzen. Eine lebensfeindliche Umgebung. Etwa zehn Obdachlose lagen hier dicht aneinandergedrängt, um sich gegenseitig zu wärmen. Es roch nach Urin, Erbrochenem und Fusel.
Wie konnten Menschen nur unter solchen Bedingungen dahinvegetieren müssen?
Wie war das mit der viel beschworenen Achtung vor der Würde des Menschen zu vereinbaren?
In einer Ecke entstand Unruhe.
Der Strahl der Taschenlampe erfasste eine zahnlose Frau mit strähnigen Haaren und ungesunder Gesichtsfarbe, die alte Zeitungen von ihren Decken wischte und danach die festgestopften Decken unter ihrem Körper hervorzuziehen begann.
Hepatitis, schoss es Klapproth durch den Kopf.
Die Frau torkelte über die Leiber der Schläfer hinweg, strauchelte mehrfach und stützte sich an den anderen ab, um einen Sturz zu vermeiden. Unwilliges Murmeln und vereinzelter wütender Protest begleiteten ihren Weg.
Schwer atmend erreichte sie die Hauptkommissarin, baute sich vor ihr auf, beugte sich näher an ihr Gesicht heran und starrte sie aus gelblich verfärbten Augen an.
„Na, Maja Klapproth“, nuschelte sie dann, und Alkoholdunstwehte der Ermittlerin ins Gesicht. „Wer hätte das gedacht, dass wir uns noch mal übern Weg laufen?“
Sie schlug sich lachend auf die mageren Oberschenkel. „Die knochige Maja! Da hätte ich dich doch beinahe nicht mehr wiedererkannt! Nehmen die bei der Polizei jetzt auch schon Huren, die voll auf Droge sind?“
18
J akob spürt bereits auf dem Weg zu Marias Beerdigung, dass etwas nicht stimmt. In den Wochen von Marias Krankenhausaufenthalt und nach ihrer Heimkehr waren alle freundlich zu ihm und den Kindern gewesen.
Doch nun hat sich die Stimmung deutlich verändert.
Selbst die Kinder scheinen das zu merken. Sie drücken sich fest an ihn, und er spürt, wie sie zittern.
Das ganze Dorf hat sich auf dem kleinen Friedhof versammelt. Wirklich jeder ist gekommen, um der Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Er hört, wie alle ihr freundliches Wesen loben, ihre Hilfsbereitschaft, ihre unbekümmerte Fröhlichkeit. Auch der Seelsorger spricht über Marias unvergleichlich sonnigen Charakter, ihre Offenheit. Er erklärt den Gläubigen, der Herr würde schon dafür sorgen, dass sie im Jenseits einen besonderen Platz an seiner Seite fände. Er wird aber auch nicht müde zu betonen, welch ein harter Schicksalsschlag Marias Tod für ihre Familie ist, besonders für die Kinder, denen der Tod die Mutter entrissen hat. Die Meisten schluchzen leise.
Jakob schwankt, taumelt.
Anton ist an seiner Seite, stützt ihn.
Helene
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