Steinhauer, Franziska
Heute ist das alles anders!“, seufzt er neidisch.
„Ach, das scheint euch Älteren nur so!“, lacht Ulrike. „Heutzutage müssen die jungen Leute an AIDS denken, an Hepatitis und – daran hat sich nichts geändert – überraschend eintretende Schwangerschaften.“
„Hast ja Recht“, lenkt Frieder gutmütig ein. „Hat eben jede Generation ihre eigenen Schwierigkeiten.“
„Sag mal, damals hat doch die Mutter von der Andrea auch einen Fiat 124 gehabt, oder?“, fragt Ulrike unvermittelt. „Gab es nicht Zeugen, die behaupteten einen 124 in der Mordnacht gesehen zu haben, der in halsbrecherischem Tempo durchs Tal raste?“
Frieder runzelt nachdenklich die Stirn.
„Das ist zwanzig Jahre her, Ulrike!“, protestiert er und setzt hinzu. „Aber es stimmt. Einen roten. Sie war eine der wenigen Frauen im Dorf, die damals einen Führerschein hatten.“
„Na, den brauchte sie schließlich auch. Nach dem schreckliche Unfall ihres Mannes musste sie doch den Hof weiter bewirtschaften. Und er konnte ja nicht mehr fahren. Blind! Da fällt ihm im Stall etwas auf den Kopf, und von einem Moment auf den anderen sieht er nichts mehr. Furchtbar!“
„War sie denn an besagtem 7. November nicht zu Hause? Denn in der Nacht selbst konnte ja niemand mehr ins Dorf heraufkommen.“
„Das war schon seltsam. Ich kann mich erinnern, dass ich sie im Bus getroffen habe, ich glaube, das war am Achten. Da erzählte sie mir, der Wagen sei zur Reparatur, schon seit zwei Tagen.“ Sie wirft Frieder einen bedeutungsschwangeren Blick zu.
„Der Mörder der Platzgrummer war keine Frau“, beharrt Frieder bockbeinig. „Frauen morden unauffälliger und weniger blutig. Zum Beispiel mit Gift. Und die Wirtschafterin hatte eine Wunde am Kopf, Blut war in der Kammer. Nein, nein. Eine Frau kann das nicht gewesen sein. Außerdem gab es genug Leute, die an jenem Tag neben dem Fiat auch ein Motorrad gesehen und gehört hatten! Wir werden es wohl nie erfahren!“
Aber so schnell lässt Ulrike nicht von ihrer Theorie ab.
„Nur mal angenommen, Andreas Mutter hätte ihr Auto damals verliehen, dann wäre der Mörder mit ihrem Fiat unten aus dem Tal gebraust, bevor die Straße gesperrt werden konnte“, spinnt sie ihren Faden lustvoll weiter.
„Und warum hat sie das der Polizei dann nicht erzählt? Außerdem hätte sie den Wagen nie an einen Fremden verliehen!“
„Und wenn es kein Fremder war? Vielleicht kannte sie ihn.“
„Du meinst …?“ Frieder schüttelt den Kopf.
„Doch!“, nun wird Ulrike eindringlich. „Ihr Mann war doch blind! Der hätte den Liebhaber nur bemerkt, wenn er über ihn gestolpert wäre!“ Ulrike wird ganz aufgeregt.
„Und warum sollte der Liebhaber von Andreas Mutter die Wirtschafterin des Pfarrers umbringen?“
„Na, weil sie Bescheid wusste und dem Ehemann verraten wollte, dass seine Frau ihn betrügt!“
Frieder seufzt und fragt sich, ob das Fernsehen wirklich eine so große Errungenschaft ist. Vor zwanzig Jahren gab es im gesamten Tal gerade einmal zwei Fernsehgeräte. Eines hatte beim Pfarrer Steinkasserer gestanden und das andere in St. Pankratz.
„Ulrike! Die Fantasie geht mit dir durch!“, mahnt Frieder. „Dann hätte doch der Pfarrer die Geschichte mit dem Einbruch nicht zu erzählen brauchen! Bestimmt wäre er nie damit einverstanden gewesen, einen mordenden Ehebrecher zu decken!“
Ulrike schüttelt den Kopf.
„Er war in Sorge, selbst unter Verdacht zu geraten, nachdem er unerwartet die Leiche gefunden hat. Und so kam es ja auch! Egal! Möglich wär’s jedenfalls. Und die Sache mit dem Auto macht Andreas Mutter ziemlich verdächtig. Hat Hauptmann Mandolesi diese Spur damals überhaupt überprüft?“
Frieder sieht zum Wald hinüber.
Nein, denkt er wehmütig, für die Jugend in St. Gertraud ist nichts einfacher geworden.
„Hallo, Fabian!“
„Nanu? Was führt die schwer arbeitende Kommissarin denn zu einem Mann auf Rädern?“
„Mann auf Rädern!“, sie lachte. „Was für eine Formulierung!“
„Hat er ganz neu entworfen!“, verkündete Tim. „Wir haben den Zivi beobachtet, der Essen auf Rädern austrägt.“
„Petzer!“
Fabian rollte ins Wohnzimmer.
„Bist du gekommen, um zu überprüfen, wie viel Leben noch in diesem Körper steckt?“
„Vielleicht.“
„Das Leben ist immer endlich. Alle müssen sterben.“
„Stimmt. Es gilt, die Zeit bis zum Ende sinnvoll zu gestalten!“
„Willst du mich zu einem Töpferkurs begleiten? Oder zu einem Selbsterfahrungskreis:
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