Steinhauer, Franziska
Männer ab dreißig, ohne Partnerin, im Rollstuhl. Und jede Woche darf ein anderer einen Vortrag über seine Alltagsprobleme halten!“
„Nein. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob wir uns nächste Woche nicht einen Film im Kino ansehen wollen. Tim möchte auch mitkommen.“
„Was ist denn das? Will sich deine Samariterseele etwa ein wenig Erleichterung verschaffen?“
„Ach Quatsch!“, rief Tim aus der Küche. „Sie will über dich nur günstig an eine Eintrittskarte kommen!“
„Also gut. Als Bruder war ich schon immer nur bedingt tauglich – weshalb sollte ich mir daher jetzt nicht mit verbilligten Karten für meine Begleitperson Ausflüge erschleichen! Tim hat Recht! Ich muss die Gelegenheiten nutzen, wie sie fallen!“, antwortete Fabian ohne jede Spur von Humor.
„Über meine Tauglichkeit als große Schwester diskutieren wir heute nicht!“, bestimmte Maja. „Ich hatte in der letzten Zeit eh schon viel zu viele Gespräche über die Vergangenheit – schauen wir lieber mal, was die Zukunft bringt.“
„Pläne?“
„Ich fahre morgen ins Ultental. Zu ,meinen‘ Satanistenund kläre, ob sie die beiden vermissten Jungs entführt haben! Wenn ja, bringe ich sie nach Hause!“
Ab jetzt würden Nägel mit Köpfen gemacht!
28
„Nein, ich gehe nicht!“ Heiko verzieht trotzig das Gesicht. „Kommt gar nicht in Frage. Ich bleibe hier!“
Auch Helene will nicht aufstehen.
„Heiko, du gehst in die Schule! Da kann man nicht einfach so fehlen“, versucht es Jakob mit gutem Zureden. „Deine Freunde warten dort auf dich!“
„Nein!“, bleibt der Junge halsstarrig.
Waltraud wird das schon richten, denkt Jakob uninteressiert.
Berta kommt schon seit Marias Tod nicht mehr her.
Anton fährt am späten Vormittag in die Einfahrt.
Jakob merkt sofort, wie wütend er ist. „Du wolltest ja nicht auf mich hören! Unten im Dorf reden sie über den Mörder Gumper!“
„Das ist doch alles Blödsinn. Ich habe Maria nicht umgebracht. Dieses Gewäsch legt sich wieder“, wehrt Jakob ab.
„Berta erzählt überall, du habest Maria einäschern lassen, damit es keine Leiche mehr gibt, die obduziert und untersucht werden kann! Begreifst du nicht, was hier vor sich geht? Vor ein paar Tagen wäre dir bald der Hof über dem Kopf abgebrannt! Die Telefonleitung war gekappt! Und um ein Haar wärst du wegen Brandstiftung verhaftet worden! Jakob, ihr seid in Gefahr.“ Antons Gesicht ist vor Zorn blaurot angelaufen.
Er zerrt den Bruder aus dem Sessel, nötigt ihn, sich anzuziehen. Dann fährt er mit ihm ins Dorf.
Sie parken vor dem Ultnerhof.
Eine gespenstische Ruhe liegt über dem Ort, als sei er unbewohnt.
„Los, wir gehen zum Bäcker“, fordert Anton, hakt sich bei seinem Bruder unter und schiebt ihn durch die Straßen. Wann immer sie jemandem begegnen, wechselt der auf die andere Straßenseite. Selbst alte Leute, die kaum mehr gehen können, nehmen die Mühe auf sich. Aus einem Fenster gießt jemand kaltes Wasser auf die Brüder hinab. Antons Hand umklammert eisern Jakobs erschrekkend dürren Oberarm. Der Witwer selbst reagiert auf nichts.
Sobald sie die Bäckerei betreten, rücken die anderen Kunden vor der Theke zusammen und bilden eine undurchdringliche Mauer.
„Hier gibt’s kein Brot für Mörder!“, kreischt jemand, und die anderen fallen mit ein: „Haut ab! Am besten nimmst du deine Mörderbrut gleich wieder mit! Verschwindet von hier! Wir verkaufen nicht an Mörder! St. Gertraud soll sauber bleiben!“
„Die schwarzen Flecken auf St. Gertrauds Seele haben nichts mit Jakob zu tun! Da sucht mal lieber bei euch selbst!“, gibt Anton aufgebracht zurück.
Jakob tut, als höre er das alles nicht.
Er will sich nicht wehren.
Er ist müde, sehnt sich nach Hause zurück.
„Die Kinder gehen nicht mehr vor die Tür, weil man ihnen ,Mörderbrut‘ hinterherschreit!“, meint Anton, aber es gelingt ihm nicht, zu Jakob vorzudringen. Apathisch läuft der Bruder neben ihm her zum Auto zurück.
Alles ist vergeblich, denkt Anton resigniert. Jakob wäscht sich nur noch, wenn er dazu aufgefordert wird, er isst kaum, trinkt nur wenig. Ein Leben am untersten Limit. Nur noch die allernotwendigsten Arbeiten führt er durch, hält immer wieder inne und starrt auf die Tür, als warte er darauf, Maria in den Garten treten zu sehen. Lange würden Anton und Waltraud nicht mehr beide Höfe versorgen können.
Heiko und Helene bleiben sich weitgehend selbst überlassen. Aber das ist ihnen ganz recht so.
Berta wartete,
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