Steinhauer, Franziska
Faustschlag unterbrochen. Entsetzt glaubte Pfarrer Weißgerber eine Person in sich zusammensinken zu sehen. Doch da er zum Vorlesen der Psalmen eine entsprechende Brille trug und alles, was mehr als zwei Meter von ihm entfernt war, nur verschwommen wahrnahm, sah er nur undeutlich, was sich in seiner Kirche abspielte. Aber die Geräusche und gelegentliche Schmerzensschreie deuteten daraufhin, dass gestritten, gejagt, geflohen und sogar geschlagen wurde.
„Haltet ein!“, donnerte seine Stimme gewaltig durch das kleine Kirchenschiff.
Augenblickliche Stille und ein leises Quietschen des Gestühls bezeugte, dass die Gebliebenen sich wieder setzten, und so fuhr der Pfarrer mit seiner mahnenden Ansprache fort.
„O Herr! Zweimal wurde diese kleine Gemeinde schon heimgesucht. Zwei Frauen starben unter mysteriösen Umständen, beide Fälle sind ungeklärt, die Mörder auf freiem Fuß. Herr, es hat dir gefallen, den Menschen in St. Gertraud besondere Prüfungen aufzuerlegen – nun wohnen auch noch Anhänger des Teufels in ihrer Mitte. Verliere deine Gemeinde nicht aus dem Blick, sondern nimm dich ihrer an, leite und führe sie auf den rechten Pfad – wie du es mit all denen tust, denen du ein schweres Schicksal auferlegst.“
Betretene, verstohlene Blicke wanderten zwischen den Gläubigen hin und her.
„So lasset uns beten: Vater unser …“
„… der du bist im Himmel …“, fielen die Versammelten ein, erleichtert, etwas Verbindendes gefunden zu haben.
Als Pfarrer Weißgerber sich von den Gottesdienstbesuchern mit Handschlag verabschiedete, blickte er jedem besonders prüfend in die Augen.
Tiefe Besorgnis hatte ihn erfasst.
Natürlich waren auch ihm die Details des „Falls Steinkasserer“ bekannt. Nachdenklich betrachtete er das alte Pfarrhaus. Der Mord an Luise Fliri Platzgrummer hatte im ganzen Land für großes Aufsehen gesorgt – nicht nur in St. Gertraud. Der Verdacht, ein Pfarrer könnte seine über dreißig Jahre ältere Wirtschafterin aus sexuellen Motiven getötethaben, war spektakulär, ja geradezu schockierend gewesen. Einige hatten den Fall als Zeichen des fortschreitenden moralischen Verfalls der Institution Kirche und ihrer Vertreter bewertet, andere hatten es schon als Ungeheuerlichkeit betrachtet, überhaupt nur an eine mögliche Schuld des Pfarrers zu denken. Er selbst war damals noch zu jung gewesen, um an den Presseberichten interessiert zu sein – ihn hatte die Geschichte erst eingeholt, als er diesem Sprengel zugeteilt worden war.
Beklommen sah er den Menschen nach, die nun auf ihre Höfe und in ihre Häuser zurückkehrten.
Er atmete tief durch.
Langsam legte er die Strecke zum Ultnerhof zurück, wo sein Wagen parkte.
Zweiundsechzig Meter.
Das wussten alle hier seit dem Fall Steinkasserer.
Es war wie ein Fluch.
Der ungeklärte Mord war aus dem Denken der St. Gertrauder nie verschwunden und heute noch genauso präsent wie damals.
Pfarrer Gabriel Weißgerber schüttelte bekümmert den Kopf.
Und nun auch noch Satanisten!
Aber es galt, sich den Herausforderungen zu stellen, und vielleicht würde er wenigstens dafür sorgen können, dass die Kinder Lucifers baldmöglichst wieder aus dem Dorf verschwanden!
Als er jedoch in Richtung St. Pankratz fuhr und zum Haus der Satansjünger emporsah, erfasste ihn erneut das Gefühl drohender Gefahr. Die Satansanbeter hatten den Fehdehandschuh, den ihnen die St. Gertrauder vor die Füße geworfen hatten, aufgenommen. Mit blutroter Farbe standauf der Zufahrtsstraße geschrieben: „LUCIFERS ARM IST LANG – ER ERREICHT DICH ÜBERALL!“
Malte Paulsen lachte und meinte augenzwinkernd: „Wahrscheinlich hoffst du ohnehin, dass du mit diesem Commissario allein ermitteln darfst! Frauen und Italiener – wir deutschen Männer wissen um diese gefährliche Mischung.“
„Schon sein Name klingt wie ein Versprechen! Du wirst hier die Stellung halten. Ich flitze hin und sehe mir das Ganze an. Wenn die beiden Jungs tatsächlich nicht freiwillig dort sind, werde ich sie befreien und heimbringen.“
„Maja Klapproth – ein weiblicher Musketier!“
„Wenn du es so betrachten willst! Ich werde mir jedenfalls nicht länger von diesen Satanisten auf der Nase herumtanzen lassen! Was ich allerdings mache, wenn die beiden Jungs nicht mitkommen wollen, weiß ich noch nicht.“
„Vergiss nicht, nach der Landung dein Handy wieder einzuschalten! Vielleicht habe ich bis dahin ja schon neue Informationen für dich!“
Maja Klapproth nickte dem Kollegen zu
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