Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
Einige Männer und Frauen standen auf einer kleinen Trittkante, die außen an den Waggons entlanglief, oder auf den Außentrittbrettern vor den Türen, und hielten sich fest, wo sie Halt fanden. Ein Schaffner ging am Zug entlang und verschloss die Türen, indem er die Leute dahinter zusammendrückte.
© Bundesarchiv - Bild-F080295-0002 – Fotograf: Oberhauser
Als der Zug das Ruhrgebiet verließ, war er restlos überfüllt. Es ging Richtung Cloppenburg im Oldenburger Land. Keine Frage, die Fahrgäste hatten alle das gleiche Ziel: sie wollten mit vollen Taschen und Rucksäcke nach Hause fahren.
Heinz unterhielt sich mit Leuten, die diese Tour schon öfter gemacht hatten. Sie gaben uns einen Tipp, in welchem Ort wir noch Bauern treffen könnten, die bereit waren Lebensmittel zu verkaufen. Als diese Leute ausstiegen, empfahlen sie uns, noch zwei Stationen weiter zu fahren. Dieser Tipp war Gold wert. Als wir nach ungefähr vier Stunden den Zug verließen gingen wir in das Dorf und trafen tatsächlich Bauersleute, denen wir Nahrungsmittel abkaufen konnten. Leider fallen mir die Namen des Dorfes oder der Familie nicht mehr ein, doch ich habe sie in dankbarer Erinnerung behalten.
Die netten Bauern erlaubten uns, soviel Obst zu essen, wie wir wollten und soviel mitzunehmen, wie wir schafften. Es war unvorstellbar. Es kam mir vor wie im Schlaraffenland. Ich habe soviel Birnen gegessen, dass ich später davon Durchfall bekommen habe.
Mit prall gefülltem Rucksack und schweren Taschen und Tüten, in denen Kartoffeln, Obst und sogar etwas Speck steckten, machten wir uns auf den Rückweg.
In dem kleinen Bahnhof erfuhren wir, dass der nächste Zug, der auch in Düsseldorf hielt, gegen sieben Uhr abends kommen sollte. Der darauf in dem kleinen Bahnhof einfahrende Zug war recht voll, doch wir konnten in einem Waggon mitfahren.
Meine Familie zu Hause war freudig überrascht, als wir unsere Schätze auf dem Küchentisch ausbreiteten.
Von Mund zu Mund sprach es sich rum, in welchem Ort ein Bauer besonders großzügig war oder welche Nahrungsmittel man wo bekommen konnte.
Wir haben diese Fahrten oft unternommen. Die Bauern bei Oldenburg hatten Mitleid mit der Stadtbevölkerung aus dem Rheinland. Oft bekamen wir Lebensmittel einfach geschenkt.
Bei den sogenannten Hamsterfahrten fühlte ich mich sehr unwohl. Wenn man im oder auf dem Zug keinen Platz mehr ergatterte, dann kam man schließlich nicht mehr zurück. Fahrkarten haben wir nie gelöst. Niemand hat die Passagiere danach gefragt. Niemand hat sich daran gestört, dass Leute auf dem Dach liegend reisten. Es gab keine richtige Ordnung und man hat alle Strapazen auf sich genommen, um etwas Essbares zu bekommen. Alles andere war egal.
Zum Kohlenklauen nach Derendorf
Einige Jungen aus meiner Nachbarschaft und ich erfuhren, dass auf den Gleisen neben der Ahnfeldstraße in Derendorf oft Waggons standen, die Kohlen geladen hatten. Die vielen Gleise gehörten zum Rangier- und Güterbahnhof Derendorf. Die Häuser in dieser Straße waren fast alle zerstört.
Durch die Trümmer kletterten wir in den Keller einer Hausruine und durchquerten diesen. Auf der Rückseite angekommen, standen wir unmittelbar vor den ersten Schienen. Darauf standen die Zuganhänger bis an den Rand mit Kohlen beladen. Sie warteten darauf, an eine Lok gehangen zu werden. Wir krochen unter einen Waggon und vergewisserten uns, dass wir niemandem aufgefallen sind. Auf der anderen Seite des Waggons krochen wir wieder hinaus und kletterten auf den Anhänger. Meine Freunde und ich stopften so schnell es ging Kohlebrocken in mitgebrachte Taschen und stiegen mit der Beute wieder herunter. Dann zurück durch den Keller, über die Trümmer und ab nach Hause.
Sicher war das verboten und daher falsch, was wir gemacht haben. Doch alle haben irgendwie lebensnotwendige Dinge organisiert, da die Menschen sehr unter dem Hunger und der Kälte litten. Meine Mutter war immer besorgt, weil es gefährlich war und wir liefen Gefahr, von der Bahnpolizei erwischt zu werden. Oft ist es passiert, dass sich ein Zug in Bewegung setzte, während wir dazwischen liefen. Darauf musste man vorbereitet sein und schnell zur Seite springen. Ein paar mal hat mich die Bahnpolizei verfolgt und mir die Kohlen wieder abgenommen. Einmal sogar noch in der Straßenbahn. Da ich sehr jung war, schimpfte man mich zwar aus, doch ich bekam keine ernsthafte Strafe.
Einmal, als wir uns wieder über die Kohlenanhänger hermachten, ist mein Freund Ludwig
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