Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
Fundort zwischen den zerstörten Häusern vom alten Mörtel und beförderten sie mit einer geliehenen Handkarre zu unserer Straße. Dort haben wir sie in Blöcke zu tausend Steinen am Straßenrand gestapelt und verkauft. Das sprach sich schnell herum, so dass wir bald Vorbestellungen von Kunden bekamen. Den Erlös haben wir aufgeteilt, um uns auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel kaufen zu können. Darunter auch Kaugummi, den wir mindestens zwei Wochen lang gekaut haben.
Phosphorbombe – nicht nur gefunden
Bei einer dieser Suchaktionen nach verwertbaren Dingen, haben meine Freunde und ich auf dem zerstörten Fabrikgelände der Firma De Limon Flume auf der Industriestraße einen Blindgänger, also eine nicht explodierte Phosphorbombe, gefunden. Wir überlegten, was damit anzufangen sei und kamen auf die dumme Idee, diese Bombe zur Explosion zu bringen. Somit schleppten wir das schwere Ding abwechselnd zu einem ausgebrannten Haus gegenüber der Fabrik. Über die wackelige Treppenkonstruktion, die noch im Mauerwerk steckte, sind wir bis ganz nach oben geklettert. Dort bewegten wir uns in Richtung eines Fensters, das zum Hinterhof zeigte. Zu dritt hoben wir die schwere Bombe auf den noch vorhandenen Fenstersims. Auf drei warfen wir mit aller Kraft die Bombe so weit wir konnten in den Hof. Mit einem Donnerschlag entzündete sich der Phosphor, als er Kontakt mit dem Sauerstoff in der Luft bekam. Eine riesige Stichflamme schoss empor und es kam zu einer starken, weißen Rauchentwicklung, die uns glücklicherweise nicht erreichte.
Wir hatten uns vorher überlegt, dass ja schließlich nichts anderes mehr brennen konnte. Es war ja schon alles verbrannt. Als das Feuer nach einiger Zeit von alleine ausging, sind wir wieder runter geklettert.
Niemand störte sich an unserer Aktion. Ich hatte sogar den Eindruck, dass diese von niemandem wahrgenommen wurde.
Hinterher habe ich erfahren, dass sich weißer Phosphor durch Kontakt mit Sauerstoff, der in der Luft enthalten ist, entzündet, und mit einer über tausend Grad heißen Flamme brennt. Der weiße Rauch, der dabei entsteht ist hochgiftig und darf nicht eingeatmet werden.
Hamstern bei Oldenburg
Die Städter brachten Wertsachen, wie zum Beispiel Schmuck, silbernes Besteck und wertvolles Porzellan, zur ländlich wohnenden Bevölkerung in der näheren Umgebung und bekamen dafür Nahrungsmittel.
Als bei den Bauern im nahen Umland nichts mehr zu bekommen war, sahen die hungernden Menschen sich gezwungen, immer weiter aufs Land zu fahren.
Wir hörten davon, dass in der ländlichen Gegend um Oldenburg noch genug Lebensmittel zu bekommen wären, da das Gebiet um die Stadt Oldenburg überwiegend von Luftangriffen verschont wurde. Wir hatten nichts zu tauschen, jedoch noch einige Reichsmark, für die wir einige Lebensmittel kaufen wollten.
Nach einer kurzen Besprechung innerhalb der Familie stimmte man überein, dass Heinz, der Freund meiner älteren Schwester, und ich, die Fahrt unternehmen sollten.
Durch die Hausruinen liefen wir zum nahen Bahnhof, um zu erfahren wann ein Zug Richtung Oldenburg fährt. Es herrschten chaotische Zustände. Mir kam es vor, als ob alle Einwohner der Stadt am Bahnhof unterwegs wären. Rastlos eilten die Menschen umher und die Schwarzhändler verkauften heimlich begehrte Nahrungsmittel. Man versuchte zu organisieren, was für einen gerade nötig und wichtig war.
Der nächste Zug, der nach Oldenburg fuhr, sollte am nächsten Morgen zwischen sechs und sieben Uhr eintreffen. Eine genauere Uhrzeit war nicht zu erfahren. Die Züge hatten mit erheblichen Umleitungen zu rechnen, da viele Bahnstrecken und Brücken durch die Luftangriffe zerstört waren.
Am nächsten Tag machten wir uns zeitig auf den Weg. Wir hatten einen alten Militärrucksack und verschiedene Taschen und Tüten dabei.
Auf dem Bahnsteig erwarteten wir den Zug, der aus Richtung Aachen kommend einfuhr. Wir bestiegen einen Waggon und stellten erstaunt fest, dass es noch Sitzplätze gab. Ich schaute aus dem Fenster, als wir Richtung Ruhrgebiet fuhren und sicherheitshalber immer mal wieder auf unser leeres Gepäck. Auch leeres Gepäck war wertvoll. Wie sollte man sonst Dinge transportieren? Der Zug hielt an jedem kleinen Bahnhof und füllte sich von Station zu Station. Und nicht nur in den Waggons quetschten sich die Menschen. Einige Männer waren dabei, auf die Dächer der Waggons zu klettern. Oben angekommen, reichten noch auf dem Bahnsteig stehende Bekannte Koffer und Taschen nach oben.
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