Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
Augen.
Voller Freude lief ich den Hügel hinunter und tatsächlich handelte es sich bei dem Jungen um meinen Bruder.
Wir fielen uns in die Arme und begrüßten uns heftig.
Aber dann sagte mein Bruder: „Mensch Peter, du willst mich doch hier nicht wegholen? Mit geht es sehr gut. Ich gehe zur Schule, habe genug zu essen und es fallen keine Bomben. Ich will hier bleiben!“
Ich antwortete erschrocken: „Das geht doch nicht!“, und weiter: „Unsere Eltern machen sich große Sorgen. In Düsseldorf fallen auch keine Bomben mehr. Der Krieg ist vorbei.“
Ich setzte meine ganze Überredungskunst ein und wir kamen überein, dass wir noch sechs Tage hier bleiben und dann gemeinsam nach Düsseldorf zurückfahren würden.
So lernte ich den Bauern und seine Frau kennen, die mich herzlich willkommen hießen. Mit meinem Bruder zusammen wohnte ich für die kurze Zeit im gleichen Zimmer. Gerne bin ich mit dem Traktor gefahren, um frisches Futter für die Rinder zu holen. Bei der Heuernte habe ich ebenfalls geholfen und tüchtig geschwitzt. Die Bäuerin entschädigte mich dafür mit leckeren Mahlzeiten.
Der Bauer fand es sehr mutig von mir und war beeindruckt, dass ich so einen weiten Weg mit so enormen Strapazen zurückgelegt hatte.
Sie hätten nichts dagegen gehabt, wenn mein Bruder für immer geblieben wäre. Doch haben sie die Entscheidung darüber uns überlassen.
Am Tag des Abschieds packte uns die gutherzige Frau Proviant für unterwegs ein. In meinem Köfferchen befanden sich unter anderem ein Laib selbst gebackenes Brot, mindestens ein Pfund Mehl, in das einige gekochte Eier verpackt waren, ein paar große Stücke Wurst aus eigener Schlachtung und eine Flasche Wasser.
Bevor wir losgingen, hatte uns das Ehepaar noch eindringlich eingeschärft, nicht in die Nähe eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers zu gehen. Es hätte sein können, dass noch nicht alle einstmaligen Gefangene ihren Heimweg angetreten haben und sich noch in den Lagern aufhielten. Diese rauen Gesellen würden uns im günstigsten Fall wahrscheinlich nur unser Essen abnehmen. Wir mussten hoch und heilig versprechen, sehr vorsichtig zu sein. Meinem Bruder merkte man den Verdruss über das Verlassen der Pflegefamilie an. Doch ich wusste ja, wie sehr unsere Mutter ihn vermisste. Sie wollte verständlicherweise alle Kinder wieder bei sich haben.
So sind wir beide losmarschiert. Ich, der dreizehnjährige Junge, mit dem elfjährigen Bruder. Wir hatten eine höllische Angst vor einer Begegnung mit ehemaligen Kriegsgefangenen. Aus Furcht vor einem Überfall trauten wir uns nicht, auf der Straße zu gehen. Also schlichen wir am Straßenrand durch die Wälder und über Felder, immer das nächste Dorf im Blick, um den Weg nach Schweinfurt nicht zu verlieren. Der Fußmarsch bis Schweinfuhrt dauerte ungefähr sechs Stunden.
Endlich am Bahnhof in Schweinfurt angekommen, fanden wir einen Güterzug, dessen Waggons mit Grubenholz beladen waren. Mit dicken Baumstämmen, die für den Bergbau gebraucht wurden. Ich dachte mir, dass dieser Zug ins Ruhrgebiet fahren würde. Wir haben uns zwischen den Baumstämmen verkrochen und sind mit diesem Zug ein Stück Richtung Westen gefahren. Zwischendurch haben wir dann immer mal wieder den Zug gewechselt. Einen Fahrplan oder geregelte Fahrten gab es nicht.
Fuhr ein Zug in einen Bahnhof ein, wurde der Lokführer von den Reisenden gefragt, wohin er fährt. Wenn ich hörte, dass ein Zug Richtung Westen fuhr, sind wir mitgefahren. Am liebsten hockten wir in den Bremserhäuschen. Dort konnten wir in Ruhe unsere Lebensmittel essen, ohne dass es anderen Passagieren auffiel. Wir hatten immer noch Angst davor, überfallen zu werden und malten uns aus, dass uns in einem solchen Fall unser Proviant abgenommen würde. Es gab schließlich kaum etwas zu essen und wir hatten somit einen Schatz in unseren Taschen.
Die Rückreise nach Düsseldorf hat sieben Tage gedauert. Das ständige Wechseln der Züge, das Verstecken und das Schlafen zwischen Holz oder Kohle waren sehr ermüdend. So waren wir heilfroh, endlich in Düsseldorf angekommen zu sein.
Den Bahnhof konnten wir nicht durch den Hauptausgang verlassen. Man musste beim Verlassen des Bahnhofs eine gültige Fahrkarte oder Bahnsteigkarte vorzeigen; und die hatten wir ja nicht. Also sind wir auf dem Bahnsteig und an den Gleisen entlang gelaufen, bis zum Flakturm an der Bandelstraße. Dort haben wir die Treppe des Flakturms genutzt, um auf die Straße zu gelangen.
Ach, wie hat sich
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