Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Mein Vater erzählt - Gutkin, P: Stell Dir vor Du bist Kind - und es ist Krieg Me
Telefonanschluss.
Um zum Beispiel nach einem Bombenangriff eine schnelle Information über das Befinden der daheim gebliebenen Angehörigen zu bekommen, gab es vorbereitete Benachrichtigungskarten, die meine Eltern nur auszufüllen brauchten. Diese Karten wurden dann zur Post gebracht und auf dem schnellsten Wege befördert. Fast immer wurden diese Karten innerhalb eines Tages weitergeleitet.
Darauf standen der Absender, also in diesem Fall der meiner Familie und ein Gruß an mich. So wusste ich also, dass meine Familie den Angriff überlebt hatte.
Oft habe ich in meinem Zimmer auf der Fensterbank eines der niedrigen Fenster gesessen.
Auf der breiten Fensterbank, die ungefähr sechzig Zentimeter über dem Boden angebracht war, konnte ich bequem quer zum Fenstersitzen. Außen war zwischen den Fensterbacken eine dicke Eisenstange zum Schutz gegen Herabstürzen befestigt.
Insgeheim habe ich gehofft, dass ich meinen Bruder Karl mal da unten vorbeigehen sehe. Aber leider habe ich ihn nie entdecken können.
Mit Frau Friedlein habe ich manchmal über meinen Bruder gesprochen. Ich habe ihr erzählt wie man uns bei der Ankunft in Kitzingen getrennt hat, obwohl meinen Eltern versichert wurde, dass man uns zusammen lässt. Weiter, dass ich meinen Eltern gleich danach einen Brief geschrieben habe, in denen ich den Vorfall schilderte. Doch meine Eltern konnten gegen die Entscheidung der Parteiangehörigen nichts ausrichten.
Frau Friedlein, die großes Verständnis für meinen Kummer hatte, versprach mir, sich einmal umzuhören.
Um mich von meinen Sorgen abzulenken, trieb ich wie verrückt Sport. Regelmäßig, wenn ich mit meinen Schularbeiten fertig war, bin ich in die Turnhalle des Gymnasiums gegangen. Der nette Hausmeister hatte mir dafür sogar einen eigenen Schlüssel gegeben.
Während des Turnunterrichts kletterten wir zum Beispiel an den Seilen hoch. Oder wir übten uns in Bockspringen oder Saltos. Wenn ich dann nachmittags alleine Zeit in der Turnhalle verbrachte, habe ich mich sozusagen weitergebildet.
So entwickelte ich mich zu einem sportbegeisterten jungen Mann und war stolz darauf, schnell und durchtrainiert zu sein. In meinen Zeugnissen machte sich mein Eifer mit der Sportnote sehr gut bemerkbar.
Nach einiger Zeit hat Frau Friedlein irgendwie erfahren, dass mein Bruder nach Dettelbach evakuiert wurde und auf einem Bauernhof wohnte.
Die Freude war riesengroß, als sie es mir erzählt hat. Gleich am nächsten Sonntag - samstags war auch Schulunterricht -, habe ich mich auf den Weg nach Dettelbach gemacht. An einem sonnigen Spätherbsttag lief ich ungefähr acht Kilometer bis zum Bahnhof Buchbrunn/Mainstockheim und dann ungefähr weitere fünf Kilometer am Main entlang bis nach Dettelbach.
In dem Ort angekommen, bin ich über die staubige Straße zu einer älteren Frau gelaufen. Sie saß auf einer Bank vor einem Bauernhof:
„Bitte entschuldigen Sie, ich suche meinen Bruder Karl, der aus Düsseldorf evakuiert wurde und hier auf einem Bauernhof wohnen soll. Wissen Sie, wo ich den finden kann?“
Die Frau antwortete mir, dass die meisten Dorfbewohner in der Kirche seien und mein Bruder bestimmt auch dort ist.
Es gab nur eine Kirche in Dettelbach. Also bin ich dahin gelaufen und habe mich auf die Bank davor gesetzt und gewartet. Die Melodie eines Kirchenliedes drang durch das geschlossene, schwere Kirchentor. Ich malte mir aus, wie erstaunt mein Bruder gleich gucken wird, wenn er mich entdeckt. Ich freute mich sehr auf diesen Augenblick.
Als die Messe beendet war und die Leute die Kirche verließen, sah ich meinen Bruder. Er trug Damenstrümpfe, kurze dreckige Hosen und ein schmuddeliges Hemd.
Entsetzt rief ich zur Begrüßung: „Karl, wie siehst du denn aus!?“
Freudig überrascht rief mein Bruder: „Peter! Wo kommst du denn her?“
Wir umarmten uns und setzten uns zusammen auf die Bank vor der Kirche. Er fragte, woher ich denn wüsste, dass er hier ist. Und ich erzählte ihm, dass meine Pflegemutter das herausgefunden hat.
Wir machten uns zusammen auf den Weg zu dem Bauernhof, wo er wohnte.
Es handelte sich um ein typisches Bauernhaus, in dem die Bauersleute zusammen mit den Tieren in einem Haus lebten. In der unteren Etage waren der Kuhstall und gleich daneben die Küche.
Von der Küche aus führte eine Treppe hoch in die restliche Wohnung. Dort bewohnte mein Bruder ein ziemlich primitives Zimmer. Seine Hosen, seine Jacke, seine Unterwäsche; alles lag schmutzig in einem ramponierten
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