Stella Blomkvist
Saemis
Widerstand zu brechen. Der Vizepolizeipräsident ist dabei der beste Vertreter
seiner Zunft; ein großer, schlanker und gerissener Typ mittleren Alters, im
Anzug, mit einer getupften Krawatte.
Wir sitzen an zwei Tischen in einem
engen, fensterlosen Zimmer und hören Saemi zu, der die Geschichte seiner Reise
immer aufs Neue wiederholen muss.
Die Goldjungs beachten ihn nicht
weiter und geben ihr Bestes, um ihn dazu zu bringen, den Mord zu gestehen. Sie
reiten immer wieder darauf herum:
»Wir wissen, dass du sie umgebracht
hast.«
»Gib’s doch endlich zu. Das ist das
Beste für dich.«
»Du weißt doch, dass du bei einer Falschaussage eine noch
härtere Strafe aufgebrummt kriegst.«
»Wie hast du sie umgebracht?«
»Was hast du mit der Mordwaffe
getan?«
»Du glaubst doch nicht im Ernst,
dass dir einer deine Märchen abkauft?«
»Hör doch auf mit dem Theater.
Gesteh endlich.«
»Jetzt sag doch die Wahrheit. Du warst wütend. Eifersüchtig.
Und deshalb hast du sie umgebracht.«
Aber Saemi lässt sich nicht
kleinkriegen und beharrt weiter auf seiner Geschichte mit der Fahrt in den
Westen zum Snaefellsnes. Und auf dem Treffen mit dem Benzinjungen. Da
versuchen sie, seinen Bericht in Einzelteile zu zerlegen. Zumal ja vieles sehr
vage erscheint. Saemi kann zum Beispiel den Benzinjungen nicht näher beschreiben und weiß nur noch, dass er
rothaarig war. Die Goldjungs versuchen, diesen Schnitzer auszuschlachten.
»Du gibst vor, dass dieser Junge der
Einzige ist, den du während deiner ganzen Fahrt gesehen hast, und trotzdem
weißt du nicht mal, wie er aussieht?«, fragt der Vize. Seine Skepsis riecht man
zehn Meilen gegen den Wind.
»Ziemlich unwahrscheinlich«,
kommentiert Raggi.
»Ich war einfach mit was ganz
anderem beschäftigt«, antwortet Saemi. »Außerdem konnte ich ja da noch nicht
wissen, dass dieser Junge einmal sehr wichtig für mich sein würde. Er hat mir
einfach nur das Auto vollgetankt.«
»Gib’s doch zu, dass du ihn einfach
nur erfunden hast, wie alles andere in deinem Abenteuer auch«, sagt der Vize.
Jetzt kann ich mich einfach nicht
mehr länger zurückhalten.
»Ich gucke mir meine Tankwarte auch
nicht besonders genau an«, sage ich. »Und ihr?«
Sie sehen
etwas unentschlossen aus.
Dann sagt
der Vize barsch: »Du hältst dich da raus!« Ich schaue Raggi an: »Wann hast du
das letzte Mal getankt? Wo? Wie sah der Tankwart aus?«
Raggi antwortet umgehend: »Vorigen
Montagmorgen, gegen acht Uhr. Hier an der Tankstelle um die Ecke. Der Tankwart
ist etwas älter, so um die fünfzig, das Haar wird langsam grau. Er hat ein
schmales und wettergegerbtes Gesicht mit blauen Augen. Hat einen blauen
Overall an. Willst du sonst noch was wissen?« Er grinst siegesgewiss.
Verdammt!
Ich hätte besser die Klappe
gehalten.
Die Goldjungs amüsieren sich
königlich, bis der Vize seine Lachmuskeln wieder im Griff hat.
»Kommen wir wieder zur Sache«, sagt
er.
Sie wenden sich wieder Saemi zu:
»Warum ersparst du uns allen nicht Zeit und Mühe? Jetzt erzähl uns doch
endlich, wie sich alles zugetragen hat!«
»Ich hab nichts mehr zu sagen«,
antwortet Saemi sauer. Er hat die Nase voll von den Fragen. »Ich habe nichts
erfunden. Und mir ist scheißegal, ob ihr mir glaubt oder nicht!«
Einen Moment lang herrscht
Schweigen, währenddessen sie abwechselnd auf Saemi schauen oder einander
Blicke zuwerfen.
Dann fragt Raggi auf einmal:
»Erledigst du eigentlich immer noch die Drecksarbeit für Sigvaldi?«
Die Frage überrascht mich.
War Saemi im Dienst des Pornokönigs
der Innenstadt, wie der Verfasser des namenlosen Briefes PornoValdi nannte?
Im Dienste des Mannes, den viele für den einzig wahren Drahtzieher von
Reykjaviks Unterwelt hielten?
»Ich habe zur Zeit keine feste
Arbeit«, antwortet Saemi
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