Stelzvogel und Salzleiche
auch jetzt.
Als ich mit meiner neuen Errungenschaft nach Hause kam, wartete eine Faxnachricht auf mich. Der Anrufbeantworter blinkte ebenfalls. Doch erst einmal schleppte ich Rechner, Monitor und Drucker zu meiner Büroetage im ersten Stock einer ehemaligen Zigarrenfabrik hoch. Dann beugte ich mich über das Fax. Es war eine Liste mit den Namen meiner ehemaligen Klassenkameraden aus der Soester Schulzeit und ein Lageskizze, wo man Peter Rugens Leiche gefunden hatte.
Gruß Anne Mehringer. Zusätzlich hatte sie noch auf meinen Anrufbeantworter gesprochen. Ich sollte mich doch bitte endlich um die »Sache« kümmern.
Gekümmert hatte ich mich schon in der Zwischenzeit.
Aufregendes war bei meiner Telefonrecherche bisher aber nicht zu Tage gekommen. Mein ehemaliger Schulkamerad Peter Rugen stammte aus einer Durchschnittsfamilie. Die Mutter, gelernte Kindergärtnerin, war später nur noch Hausfrau, der Vater arbeitete als Bauingenieur. Reichtümer gab es in der Familie Rugen nicht, aber auch keinen Mangel, ideale Voraussetzung also für eine gute Kindheit, allenfalls ein wenig langweilig.
Das besagte nicht viel. Kriminelle Neigungen gab es in allen Schichten.
Weiterbohren, im näheren Umfeld des Toten. Ich rief die Auskunft an und erfuhr, dass im Soester Telefonbuch drei Rugen standen.
Gleich beim ersten Anruf bekam ich Peters Mutter an den Apparat. Ich stellte mich als ehemaligen Klassenkameraden der Petri-Thomä-Schule vor, nannte die Namen von ein paar Lehrern und gewann so ihr Vertrauen, bereitwillig gab sie mir Auskunft. Wieder einmal war ich erstaunt, wie bedenkenlos Leute am Telefon Fragen beantworten, ich hätte ja auch ein Schwindler sein können. Als ich darauf zu sprechen kam, unter welchen Umständen ihr Sohn gefunden wurde, hörte ich, dass sie mit den Tränen kämpfte.
Um sie abzulenken, schwenkte ich auf ältere Zeiten zurück.
Kindheit, Schule, was ihr Sohn danach gemacht habe.
Peter sei früh, nach seiner kaufmännischen Lehre, von zu Hause weggezogen und habe zuletzt, bevor er vor zehn Jahren von einem Tag auf den anderen verschwand, bei Freunden gelebt. Nein, Namen wusste sie nicht mehr.
»Und wo?«
»Hier in Soest oder auch schon mal außerhalb, in einem Ferienhaus von Freunden und auf einem Boot am Möhnesee.«
»Haben Sie ihn nie besucht?«
»Nein, das wollte Peter nicht. Aber er ist manchmal zu uns gekommen und angerufen hat er auch ziemlich regelmäßig, an den Feiertagen und zu den Geburtstagen, auch seinem eigenen, damit wir ihm gratulieren konnten, so auch an seinem letzten –
zweiunddreißig ist er nur geworden, nicht mal so alt wie…«
Sie unterbrach sich, schniefte in ein Taschentuch, führte den Satz aber nicht zu Ende, sondern sagte nur: »Überhaupt hatten wir guten Kontakt zu Peter.«
Ein rundum guter, braver Sohn. Auch wenn die Mutter auf die Frage, womit ihr Junge sein Geld verdient hatte, keine Antwort wusste. Frau Rugen gab mir immerhin noch die Telefonnummer von Peters Schwester.
Sonja, so hieß sie, hatte von ihrem Bruder schon eine etwas differenziertere Meinung. Peter habe sich zu den Außenseitern der Gesellschaft hingezogen gefühlt. Sie meinte Jugendliche, die in den Siedlungen am Stadtrand wohnten, die mit frisierten Mopeds herumkutschierten, auch mal einen
Zigarettenautomaten zu Bruch gehen ließen und verrückte Feste feierten. Na ja, ganz so wild wird es wohl nicht gewesen sein. Ich hatte den Eindruck, dass bei der Schwester ein bisschen die Eifersucht auf den jüngeren, von den Eltern bevorzugten Bruder durchbrach und vielleicht Neid auf dessen freieres Leben. Missgunst klang auch durch, als sie davon sprach, dass Peter schon früh Erfahrungen mit Frauen, meist älteren, gemacht habe. Als sie das erwähnte, horchte ich auf.
Ob ihm wohl die Idee gekommen war, sich von Frauen aushalten zu lassen? Lag hier, überlegte ich weiter, ein Motiv?
Eifersüchteleien unter Freundinnen, die für ihn anschafften?
Rivalenkämpfe im Rotlichtmilieu? In Soest doch nicht! Oder gerade?
»Mehr gibt es da, glaube ich, nicht zu erzählen, Herr Mogge.«
Ich merkte, dass sie ungeduldig wurde. Welche Wünsche und Pläne ihr Bruder denn so gehabt habe, fragte ich noch. Sie zögerte: »So ganz normale: ein schickes Auto, die große Liebe finden, eine Familie gründen, Kinder haben, eine
Eigentumswohnung kaufen, auf jeden Fall wollte er weg aus dieser WG, das war doch nur eine Notlösung. Diese komischen Typen, Kiffer, Künstler, arbeitsscheue Elemente.«
Ich hörte mir noch
Weitere Kostenlose Bücher