Sterbelaeuten
eingehüllt in Wintermäntel mit hochgeschlagenen Kragen, manche mit rotgefrorenen Nasen. Die Friedhofsmitarbeiter mussten ihre liebe Mühe gehabt haben, als sie die Grube aus dem gefrorenen Boden aushoben. Nun standen sie abseits und rauchten.
Henry sprach die üblichen Gebete und einer nach dem anderen warfen die Angehörigen Erde auf den Sarg. Meike warf einen mit roter Schleife zusammengehaltenen Bund Mistelzweige. Das sah unerwartet schön aus, auf der Erde und auf dem dunklen Sarg.
Antoni weinte dicke Tränen, als er vor der Grube zu stehen kam und Abschied von seiner Pflegepatientin nahm. Er bekreuzigte sich und kniete nieder. Schließlich musste er mit sanftem Druck von Stephanie zum Aufstehen und Weitergehen gedrängt werden. Es begann zu schneien.
Endlich bewegte sich die Gemeinde, nun ungeordnet, in Grüppchen leise sprechend, vom Friedhof in Richtung des „Alten Schulhauses“, der Gastwirtschaft, in der das Kaffeetrinken nach der Beerdigung stattfinden sollte.
Elisabeth schloss mit Henry auf. „Schicker Hut“, sagte sie leise und hakte sich beim ihm unter. Er knuffte sie unauffällig in die Seite. Im Restaurant tauten sie langsam wieder auf. Eine Tasse heißen Kaffee mit beiden Händen umfasst, setzten sie sich an die lange Kaffeetafel.
Einige Plätze weiter saß Sibylle mit ihrer Tochter und ihrem Ex-Mann. Wie eine richtige Familie, dachte Elisabeth. Am anderen Ende der Tafel saß Stephanie, inmitten von Leuten, die Elisabeth nicht kannte und an deren Unterhaltung sich Stephanie nicht beteiligte. Sie starrte vor sich hin und sah müde und unglücklich aus. Elisabeth erhob sich und ging zu Stephanie hinüber. Sie zog einen Stuhl vom Nebentisch heran und setzte sich neben sie.
„Mein herzliches Beileid. Deine Mutter war eine wunderbare Frau.“
Stephanie blickte ihr in die Augen. „Danke. Ja, das war sie.“
Elisabeth zögerte etwas. „Nach der Trauerfeier fühlen sich die Angehörigen oft irgendwie erleichtert, vielleicht weil dieser Berg schon mal erklommen ist.“
„Ja? Kann sein.“
„Bei dir ist es aber nicht so?“
„Ich weiß nicht“, sagte Stephanie. „Ich kann es noch gar nicht alles verarbeiten. Und dann Sibylle. Sie ist so kalt und abweisend. Sie ist sauer, weil Mutter ihr nur den Flügel hinterlassen hat und mir das Haus, aber sie will auch nicht mit mir darüber reden. Ich dachte, wir würden das hier zusammen durchstehen, so wie Mutters Krankheit, aber jetzt fühle ich mich völlig allein.“
Elisabeth drückte Stephanies Hand. Stephanie biss sich auf die Unterlippe und sah weg, wohl um nicht vor allen Leuten zu weinen. Sie holte tief Luft.
„Meine Mutter war eine furchtbare Geheimniskrämerin. Sie hätte doch mit uns über ihr Vermächtnis reden können. Stattdessen versteckt sie ihr Testament im Fotoalbum! Mir graut schon davor, ihre Sachen durchzugehen. Sie hatte die Angewohnheit, Geldscheine und Sparbücher in Büchern zu verstecken. Sie hat uns immer wieder triumphierend erzählt, wie sie die Ringe ihrer Großmutter vor der Flucht aus Schlesien in einer Cremedose unter der Creme versteckt haben. Ich würde mich nicht wundern, wenn es diese Dose noch gibt mitsamt Ringen und verschimmelter Niveacreme.“
In diesem Moment näherte Torat sich den beiden Frauen. Elisabeth fand, dass er in seinem schwarzen Anzug ziemlich spektakulär aussah. Auch wenn sie jetzt ein halbes Jahr Zeit gehabt hatte, sich an Torats Anblick zu gewöhnen, musste sie sich eingestehen, dass er nach wie vor etwas Aufregendes hatte. Torat sah auf eine Till Schweiger-mäßige Weise gut aus, nur dass er sich sorgfältiger kleidete und weniger nuschelte.
Er hatte so einen beigen Boss-Blazer, den er manchmal trug, sinnierte Elisabeth. Den gleichen Blazer hatte Henry einmal anprobiert, als Elisabeth mit ihm Kleider kaufen war. Henry hatte so beunruhigend gut ausgesehen, dass Elisabeth entschieden hatte, ihn so nicht auf die Konfirmandinnen loszulassen. Sie hatte vom Kauf abgeraten. Henry fand den Blazer auch unanständig, was allerdings an seinem Preis lag, nicht an seiner Wirkung.
Torat legte Stephanie den Arm um die Schulter. „Stephanie, meine Liebe. Nun mach nicht so ein Gesicht. Was würde denn deine Mutter dazu sagen? Komm und trink einen schönen Kaffee mit mir, es tut meinem Image gut, mit schönen jungen Frauen zusammen gesehen zu werden.“
Stephanie musste lachen. „Du flirtest mit mir auf der Beerdigung meiner Mutter?“
„Was erwartest du, ich muss jede Gelegenheit nutzen, die
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