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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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ein Fenster angelehnt gelassen hatte. Das würde die Geräusche erklären, die Henry aus dem Garten gehört hatte. Da war er hineingeklettert. Und als Henry zum ersten Mal wieder hoch ins Bett gegangen war, war der Einbrecher in die Wohnung gekommen und hatte sich dort irgendwo versteckt. Nachdem Henry Paul hereingelassen hatte, war die Wohnungstür unabgeschlossen gewesen. Da hätte der Einbrecher sich aus dem Haus schleichen können, z. B. als sie mit Paul Tee getrunken hatten. Aber würde ihm irgendjemand diese Theorie abnehmen? Und wenn sie stimmte, was hatte der Einbrecher gesucht? Hatte er es gefunden? Und wenn nein, würde er wiederkommen? Henry lauschte auf Elisabeths gleichmäßigen Atem. Wie es aussah, war er allein mit seinen Fragen.
    –
    Maté wachte auf, und wie meistens kam die Erkenntnis erst nach und nach. Dass er nicht in der Kölner Sozialwohnung seiner Eltern war, sondern in einer Plattenbauwohnung in Neu-Belgrad. Dass sein Vater nicht mehr lebte und seine Mutter weit weg in Frankreich war. Wenn sie dort überhaupt noch war, im Fernsehen hatte er gesehen, dass man dort Roma abgeschoben hatte. Wer weiß, wo seine Mutter jetzt war, vielleicht im Kosovo.
    Wenn sein Vater nicht gestorben wäre, dann wäre er jetzt nicht hier, spulte sich der Gedankengang wie von selbst in seinem Kopf ab, wie an jedem Morgen, den er hier aufwachte, nun schon seit über zwei Jahren. Wenn sein Vater nicht gestorben wäre, wäre seine Mutter nicht in die Lethargie verfallen, die sie nur noch auf dem Sofa sitzen ließ, die Rollläden halb geschlossen, den Fernseher an, den ganzen Tag. Bis sie eines Tages aufwachte und ihm verkündete, dass sie zu ihrer Schwester nach Frankreich gehen würde und er könnte nachkommen, aber noch nicht gleich, denn sie hätten noch keinen Platz für ihn und noch keine Arbeit. Aber er solle ruhig die Ausbildung noch in Deutschland zu Ende machen und dann könnte er nachkommen. Solange er in der Ausbildung war, würden sie ihn nicht abschieben, hatte sie gesagt, auch wenn er schon volljährig war. Aber es war hart, jeden Morgen aufzustehen und pünktlich in die Firma zu gehen, wenn es niemanden scherte, wann er abends ins Bett ging und ob er überhaupt nach Hause kam. Wenn seine Mutter nicht nach Frankreich gegangen wäre, dann hätte er nicht die Lehre geschmissen und dann hätten sie ihn nicht abgeschoben. Wenn nur der Vater nicht gestorben wäre.
    In die Wohnung im Plattenbau hatte Joska ihn gebracht. Von seinem Schlafzimmer hatte Maté einen direkten Blick auf den Hüttendorf-Slum. Ob das Absicht war? Die Wohnung war winzig. Ein kleines Schlafzimmer, kaum größer als ein Schrank. Das Bad war eher eine Nasszelle, komplett aus Plastik und ohne Tageslicht. Und ein Wohnzimmer mit braun-grünem Teppichboden, Sofa, Schreibtisch, PC, Telefon, ein Headset. Das Modernste in der ganzen Wohnung waren der PC und das Telefon.
    „Du kannst das Schlafzimmer haben. Auf dem Sofa schläft Enver“, hatte Joska gesagt. Er selbst wohnte nicht hier.
    Enver lernte Maté schon am ersten Abend kennen. Ein drahtiger, dünner schwarzhaariger Mann, mit einem Gesicht wie ein Junge. Er sprach auch deutsch, besser als Joska, ohne Akzent. Er gab Maté die Hand, nickte und grinste, als habe er ihn schon erwartet. Joska und Enver kochten eine Suppe zum Abendessen und Maté zog sich danach zurück in „sein“ Schlafzimmer. Er war völlig am Ende, hielt es keinen Moment länger mit diesen beiden Männern aus, die ihn doch gerettet hatten. Er war einfach platt, schlief erst tief, dann unruhig. Am Morgen war Joska fort. Enver saß am Computer, als Maté ins Wohnzimmer kam.
    „Du kannst erst mal duschen und Kaffee trinken“, sagte er. „Dann erkläre ich dir deinen Job.“ Er lächelte und nickte Maté aufmunternd zu. Als Maté in seiner Reisetasche nach frischer Wäsche suchte, merkte er, dass seine Geburtsurkunde weg war.
    –
    Der Bus fuhr von der Südseite des Frankfurter Hauptbahnhofs ab, wie alle Busse. Alicja stand nur hundert Meter von ihrer alten Haltestelle entfernt und fror, während sie auf den Bus ihres neuen Arbeitgebers wartete. Es war Freitagmorgen, sie hatte ihre erste Woche im neuen Job geschafft und fuhr nach Hause zu ihren Lieben.
    Maja, die auch nach Krakau fuhr, gesellte sich zu ihr, einen dicken roten Schal um den Hals und bis zu den Ohren gewickelt. „Fiese Kälte ist das!“, keuchte sie außer Atem. „Hoffentlich kommt der Bus bald.“
    Weitere Frauen und zwei Männer gesellten sich dazu,

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