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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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dritten Advent parkte Torats Audi direkt vor der Kirche, also war er wohl mit dem Orgeldienst dran. Elisabeth wunderte sich zum wiederholten Mal, was für Autos die Leute fuhren, und, da sie schon mal dabei war, was für Urlaube (mehrere im Jahr) sie machen, was für Möbel sie selbst ihren Kindern noch ins Kinderzimmer stellen konnten. Sie zwang sich, diesen Gedankengang zu beenden. Wahrscheinlich war es eine Frage der Prioritäten, sagte sie sich und dachte an die herrlichen, sattbraun glänzenden Lederstiefel, die sie vorgestern in vollem Bewusstsein der Tatsache gekauft hatte, dass sie bereits ein Paar (schwarzer!) Stiefel besaß.
    Während der Lieder nahm Elisabeth den Altarraum in Augenschein. Sie ging im Geiste die Positionen der verschiedenen Darsteller des Krippenspiels durch und dann auch noch den Ablauf.
    Der Gedanke an das Krippenspiel an Heiligabend malte Elisabeth nervöse Flecken ins Gesicht. Die Adventsbeschleuniger hatten den Kalender auf den dritten Advent vorverstellt, und sie hatte noch keine einzige Krippenspielprobe gehabt, an der alle Darsteller anwesend gewesen waren, geschweige denn gewusst hätten, wann sie wo stehen und was sagen sollten. Sie versuchte sich zu sagen, dass das auch in den vergangenen Jahren nie anders gewesen war und letztlich doch immer alles geklappt hatte.
    Obwohl das ja nicht stimmte. Vor zwei Jahren hatte Elisabeth mit den Kindern eine Weihnachtsgeschichte mit Zeitreise einstudiert. Leider hatte die Zeitmaschine einen Kurzschluss und präsentierte sich als der nichts-könnende, langweilige, selbstgebastelte Pappkasten, der sie ohne das Blinken der Diskokugel und ohne den elektronischen Alarmton war.
    Außerdem waren immer Zwischenfälle zu befürchten. Vergangene Weihnachten hatten Markus und Lukas beim Auftritt des Engels des Herrn als unautorisierten „special effect“ ein Tischfeuerwerk unter der Kanzel abgebrannt. Babys fingen an zu schreien und Mütter verließen aufgebracht die Kirche. Das hatte Elisabeth nicht im Sinn gehabt, als sie zustimmte, den Jungen die Aufgabe „Technik und Bühnenbild“ zu übertragen. Allein Henrys Diplomatie hatten die Kinder es zu verdanken, dass jenes Weihnachtsfest nicht als das „Weihnachten ohne Bescherung“ in die Familienchronik eingegangen war.
    Den Plan, dieses Jahr den Engel des Herrn an Seilen von der Kanzel herunterzulassen, hatte Elisabeth, wie sie hoffte, im Keim erstickt, sobald Marlene ihn ihr gepetzt hatte. Die Zwillinge waren nun damit beauftragt, Plätze für Oma und Opa zu reservieren, und zwar im unteren Kirchenraum, nicht auf den Emporen.
    Markus, der neben ihr saß, fing an, unbewusst mit dem Fuß gegen die Vorderbank zu kicken. Elisabeth legte die Hand auf sein Knie, um ihn zu stoppen. Er hörte auf und saß wieder still zwischen ihr und Lukas. Elisabeth war erstaunt gewesen, als Markus und Lukas sie heute in die Kirche begleiteten. Weder sie noch Henry hatten auch nur andeutungsweise den Wunsch geäußert, dass die Kinder sich mal wieder in die Kirche bequemen mochten. Aber sie hütete sich, ihrer Verwunderung Ausdruck zu verleihen. Jeder darf jeden Tag ein neues Leben anfangen, hatte sie sich gesagt. Gott legt uns nicht auf unser Gestern fest.
    Auch Markus nahm die Kirche in Augenschein. Der Haupteingang der Kirche befand sich gegenüber dem Altarraum. Ein Mittelgang führte zum Altar, rechts und links waren hölzerne Bänke. An der linken Wand gab es einen Seiteneingang. Ebenfalls an der linken Wand, aber etwas hinter dem Altar, war ein winziges Kämmerchen mit einem Waschbecken. Hinter dem Altar, verdeckt durch ein Altarbild, einer ziemlich grässlichen Darstellung des heiligen Abendmahls, lag die Apsis. Das war ein kleiner ovaler Raum, der zu kleineren Andachten genutzt wurde.
    Entlang der linken Seitenwand der Kirche und an der Stirnseite verlief die erste Empore, auf der sich auch die Orgel befand. Die Orgel war riesig. Sie erstreckte sich über die ganze Stirnseite der Kirche. An der linken Wand gab es noch eine zweite Empore. Die Emporen waren mit Bildern aus dem Leben Jesu geschmückt. Vom Kirchenraum nicht zu sehen, erhob sich oberhalb der Apsis der Glockenturm.
    Jetzt läuteten die Glocken zum Vaterunser-Gebet der Gemeinde. Markus drehte sich um und hielt nach Samuel Ausschau. Der durfte das elektrische Läutwerk bedienen, das links neben dem Haupteingang in einem kleinen Kämmerchen untergebracht war. Markus konnte nur Thomas sehen, der vor der Tür dieser Kammer stand und aufpasste, dass

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