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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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alles in allem waren sie neun Personen. Die Frauen standen nahe beieinander, die Männer ein paar Meter abseits. Im fahlen Licht der Straßenlaternen sahen die Gesichter grau aus, die Frauen älter als sie wahrscheinlich waren, Schatten unter ihren Augen, großporige Haut, glanzlose Haare. Alicja überlegte, ob sie wohl auch so dunkle Ringe unter den Augen hatte und wie lange es wohl dauern würde, bis auch ihre Haut so fahl und grau aussah. Das war kein Job, den man bis zur Rente machen konnte, so viel war klar. Aber welche Rente, bitte schön, hatte sie denn zu erwarten? Nein, das hier war eine Übergangslösung. Sicher würde die Wirtschaft irgendwann wieder anziehen, auch in Polen. Es war doch immer ein Auf und Ab im Kapitalismus, nach einem Tal kam wieder ein Aufschwung. So hatte Josef es ihr erklärt, wenn die Alten jammerten, im Sozialismus hätten wenigstens alle ihr Auskommen gehabt. Und wenn es bergauf ging, dann würde der Staat auch wieder Lehrer einstellen und ihnen ein anständiges Gehalt bezahlen, von dem man eine Familie ernähren konnte. So lange würde sie es schon aushalten.
    Nach weiteren endlosen Minuten, in denen Alicja von einem Fuß auf den anderen trat, um sich warm zu halten, geriet Bewegung in die Gruppe, die Frauen bückten sich nach ihren Taschen. Alicja sah sich in alle Richtungen um. Es war kein Reisebus auf dem Weg zu ihnen, nur ein Mercedes-Kleinbus mit grüner Schnauze, weißen Seiten und polnischem Nummernschild kam auf sie zu. „Euro-Gebäudereinigung“ stand in grünen Buchstaben auf Deutsch und auf Polnisch an der Seite.
    „Endlich!“, sagte jemand aus der Gruppe der Wartenden auf Polnisch.
    „Das ist der Bus?“ Alicja traute ihren Augen nicht.
    „Ist ein Mercedes-Sprinter“, sagte Maja. „Ganz modern, fährt super-schnell.“
    „Das muss er aber auch.“ Alicja spähte durch die Scheibe ins Innere. „Der hat ja gar kein Klo!“
    Maja lachte. „Pawel hält dich gerne an einer Raststätte ab, wenn du Pipi musst.“ Die anderen lachten.
    Der Busfahrer öffnete die Türen und begrüßte die Menge mit einem windschiefen Grinsen.
    „Warum hast du so lange gebraucht, Pawel?“
    „Konntest du dich nicht aus den Armen deiner Liebsten lösen?“ Einer der Männer schlug Pawel auf die Schulter und der lachte, was bald in ein Husten überging.
    Alicja zögerte.
    „Was ist?“, fragte Maja.
    „Können wir das Gepäck nicht in den Kofferraum legen?“ Alicja hatte eine Stereoanlage gekauft, die in einem sperrigen Karton verpackt war.
    „Ist alles voll!“, rief der Busfahrer mit seiner belegten Stimme. Es stimmte, hinter den Sitzen stapelten sich Taschen und Koffer bis zur Decke des Kleinbusses.
    „Auf der Rückfahrt müssen wir das Gepäck mit auf den Sitz nehmen“, sagte Maja. „Wenn du nächstes Mal etwas Großes kaufst, sag Pawel vorher Bescheid, dann lässt er ein bisschen Platz.“
    Sie stiegen ein. Pawel schob die Tür mit einem wohldosierten Schwung zu. Wohlige Wärme umfing sie. Alicja stellte ihren Karton hinter den Fahrersitz und rutschte auf den Sitz neben Maja. Das Bahnhofsviertel rollte an ihr vorbei. Der Main war ein schwarzes Band, in dem sich einzelne Lichter spiegelten. Der Sitz war tatsächlich sehr bequem und der Bus ruckelte ganz sanft und einschläfernd, als er über die Mainbrücke fuhr. Alicja wunderte sich, dass es sich für ihren Arbeitgeber lohnte, neun Putzfrauen und -männer, falls die zwei auch putzten, von Frankfurt nach Krakau zu kutschieren und das auch noch kostenlos. Es musste ein lukratives Geschäft sein, polnische Reinigungskräfte zu beschäftigen. Verdienten die deutschen Putzfrauen denn so viel mehr? Oder gab es keine deutschen Putzfrauen? Vielleicht verbrauchte so ein moderner Kleinbus nicht viel Benzin. Jedenfalls war es viel luxuriöser, so zu reisen als mit dem alten Reisebus, den sie vorher immer genommen hatte, wenn man mal von der Gepäckfrage absah. Normalerweise hatte sie ja nur eine kleine Tasche. Es war eine unchristliche Zeit und Alicja fielen die Augen zu. Bald würde sie bei ihren Babys sein, dachte sie und lächelte mit geschlossenen Augen.
    –
    Henry musste wohl ziemlich frieren, als er hinter dem Sarg von Frau Heinemann herschritt. Der Wind zerrte an seinem Talar und drohte das idiotische Hütchen wegzuwehen, das zum Talar gehörte und das Henry nur an ganz kalten Tagen und auch an diesen nur widerwillig trug. Er musste es immer wieder festhalten.
    Hinter ihm schritt die Trauergemeinde, unter ihnen Elisabeth, alle

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