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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Kind kann jeden Moment kommen. In einer Stunde könnte es so weit sein, das weißt du.«
    »Mach’s gut«, sagte ich und schloss die Tür hinter mir. Im Flur zog ich Mantel und Handschuhe an, griff nach der Tasche mit dem Notebook und ging hinaus. Vom verschneiten Bürgersteig schlug kalte Luft hoch. Am unteren Ende der Straße näherte sich ein Räumfahrzeug. Der schwere Metallpflug donnerte über den Asphalt. Immer wollte sie mich zurückhalten. Warum war es für sie so wichtig, dass ich bei ihr war, wenn sie schlief und ohnehin nicht merkte, dass ich da war?
    Der Himmel hing schwarz und schwer über den Dächern, aber es schneite nicht mehr. Ich ging die Straße hinunter. Das Räumfahrzeug fuhr mit grollendem Motor, klirrenden Ketten, schabendem Pflug vorbei. Ein kleines Geräuscheinferno. Ich bog in die David Bagares gata, die verwaist und still zur Malmskillnadsgatan hinaufführte, wo die Buchstaben des Lokals KGB den Blick auf sich zogen. Vor dem Eingang des Altersheims blieb ich stehen. Was sie gesagt hatte, stimmte. Es konnte jeden Moment so weit sein. Und sie war ungern allein. Und warum ging ich dann hier entlang? Was wollte ich morgens um halb fünf in meinem Büro? Schreiben? Warum sollte mir heute gelingen, was mir in den letzten fünf Jahren nicht gelungen war?
    Was war ich doch nur für ein Idiot. Sie erwartete unser Kind, mein Kind, ich sollte sie nicht alleine lassen.
    Ich kehrte um. Als ich die Tasche im Flur absetzte und den Mantel ablegte, hörte ich ihre Stimme aus dem Schlafzimmer.
    »Bist du das, Karl Ove?«
    »Ja«, sagte ich und ging zu ihr hin. Sie sah mich fragend an.
    »Du hast Recht«, erklärte ich. »Das war gedankenlos von mir. Tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin.«
    »Mir tut es auch leid«, entgegnete sie. »Natürlich sollst du arbeiten gehen!«
    »Das kann ich auch später noch machen«, sagte ich.
    »Aber ich will dich nicht aufhalten«, sagte sie. »Bei mir ist alles in Ordnung. Versprochen. Geh du nur. Wenn etwas ist, rufe ich dich an.«
    »Nein«, sagte ich und legte mich neben sie.
    »Aber Karl Ove…«, sagte sie und lächelte.
    Es gefiel mir, wenn sie meinen Namen aussprach, es hatte mir immer gefallen.
    »Jetzt sagst du, was ich gesagt habe, während ich sage, was du gesagt hast. Aber ich weiß doch, dass du eigentlich das Gegenteil meinst.«
    »Das wird mir zu kompliziert«, sagte ich. »Sollen wir nicht lieber einfach schlafen? Und zusammen frühstücken, bevor ich gehe?«
    »Gern«, sagte sie und legte sich neben mich. Sie war heiß wie ein Backofen. Ich strich ihr mit der Hand durchs Haar und küsste sie leicht auf den Mund. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück.
    »Was hast du gesagt?«, fragte ich.
    Sie antwortete nicht und nahm stattdessen meine Hand und legte sie auf ihren Bauch.
    »Da!«, sagte sie. »Spürst du das?«
    Plötzlich beulte die Haut unter meiner Handfläche aus.
    »Hui«, sagte ich und nahm sie weg, um zu sehen, was gegen den Bauch gepresst wurde und ihn ausbeulen ließ, ein Knie oder ein Fuß, ein Ellbogen oder eine Faust wurden jetzt fortgezogen. Es war, als sähe man etwas, das sich gleich unter der Oberfläche eines ansonsten stillen Gewässers bewegte, um anschließend wieder zu verschwinden.
    »Sie ist ungeduldig«, sagte Linda. »Ich spüre es.«
    »War das ein Fuß?«
    »Mm.«
    »Es sah aus, als wollte sie ausprobieren, ob man auf dem Weg rauskommen könnte«, meinte ich.
    Linda lächelte.
    »Hat es wehgetan?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich spüre es, aber es tut nicht weh. Es ist nur seltsam.«
    »Das glaube ich gern.«
    Ich legte mich dicht neben sie und platzierte meine Hand erneut auf ihrem Bauch. Im Flur klapperte es im Briefeinwurf. Draußen fuhr ein Lastwagen vorbei, der groß zu sein schien, die Fenster klirrten. Ich schloss die Augen. Als sich alle Gedanken und Bilder sofort in Richtungen bewegten, über die ich keine Kontrolle hatte, und ich sie wie eine Art träger Hirtenhund beobachtete, erkannte ich, dass der Schlaf ganz nah war. Ich brauchte mich nur in seine Finsternis abzuseilen.
    Ich wurde davon geweckt, dass Linda in der Küche räumte. Auf der Uhr auf dem Kaminsims war es fünf nach elf. Verdammt. So viel zu diesem Arbeitstag.
    Ich zog mich an und ging in die Küche. Dampf pfiff aus dem kleinen Kaffeekessel auf dem Herd. Brotbelag und Saft standen auf dem Tisch. Zwei geröstete Brotscheiben lagen auf einem Teller. In dem neben ihm stehenden Toaster sprangen in diesem Moment zwei weitere hoch.
    »Hast

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