Sterben: Roman (German Edition)
du gut geschlafen?«, erkundigte sich Linda.
»Allerdings«, antwortete ich und setzte mich. Die Butter, die ich auf die Scheibe strich, schmolz im selben Moment und füllte die kleinen Poren an der Oberfläche. Linda zog den Kaffeekessel von der Herdplatte und schaltete sie aus. Wegen ihres großen Bauchs sah es immer so aus, als lehnte sie sich zurück, und wenn sie etwas mit den Händen machte, wirkte es, als geschähe es jenseits einer unsichtbaren Wand.
Der Himmel war grau. Aber auf den Dächern schien der Schnee liegen geblieben zu sein, denn es war heller im Zimmer als sonst.
Sie goss Kaffee in die beiden Tassen, die sie auf den Tisch gestellt hatte, und setzte eine vor mir ab. Ihr Gesicht war aufgedunsen.
»Geht es dir schlechter?«, sagte ich.
Sie nickte.
»Meine Nase ist zu. Und ich habe ein bisschen Fieber.«
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, goss Milch in ihren Kaffee.
»Das ist mal wieder typisch«, meinte sie, »dass ich ausgerechnet jetzt krank werde. Wenn ich wirklich bei Kräften sein muss.«
»Vielleicht dauert es noch was bis zur Geburt«, sagte ich. »Vielleicht sorgt der Körper dafür, dass es erst losgeht, wenn er wieder gesund ist.«
Sie starrte mich an. Ich schluckte den letzten Bissen hinunter und goss Saft ins Glas. Wenn ich in den letzten Monaten eines gelernt hatte, dann dass alles, was ich über die plötzlichen und unvorhersehbaren Stimmungsschwankungen schwangerer Frauen gehört hatte, zutraf.
»Kapierst du denn nicht, dass das eine Katastrophe ist?«, sagte sie.
Ich begegnete ihrem Blick. Trank einen Schluck Saft.
»Doch, doch, sicher«, sagte ich. »Aber es wird schon klappen. Es wird schon alles klappen.«
»Natürlich wird es klappen«, entgegnete sie. »Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich nicht krank und schwach sein will, wenn ich ein Kind bekomme.«
»Das verstehe ich«, sagte ich. »Aber das wirst du auch nicht sein. Es sind noch ein paar Tage.«
Wir aßen schweigend weiter.
Dann sah sie mich wieder an. Sie hatte fantastische Augen. Sie waren graugrün und ab und zu, vor allem, wenn sie müde war, schielten sie ein wenig. Auf dem Foto in ihrer Gedichtsammlung schielte sie, und die darin liegende Verletzlichkeit, die der Selbstsicherheit ihres Gesichtsausdrucks widersprach, sie aber nicht aufhob, hatte mich einmal geradezu hypnotisiert.
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich bin nur nervös.«
»Du brauchst nicht nervös zu sein«, sagte ich. »Du bist so gut vorbereitet, wie es nur geht.«
Das war sie wirklich. Sie hatte sich voll und ganz auf das vor ihr Liegende konzentriert; stapelweise Bücher gelesen, eine Art Meditationskassette gekauft, die sie jeden Abend hörte und auf der eine Stimme hypnotisch wiederholte, dass der Schmerz nicht schlimm war, dass der Schmerz gut war, und gemeinsam hatten wir einen Kurs besucht und eine Führung durch die Station mitgemacht, auf der sie, wenn alles glatt lief, entbinden würde. Auf jeden Termin bei ihrer Hebamme hatte sie sich vorbereitet, indem sie sich vorher Fragen notiert hatte, und alle Kurven und Maße, die sie von dort mitbrachte, notierte sie mit ebenso großer Gewissenhaftigkeit in einem Tagebuch. Sie hatte der Entbindungsstation darüber hinaus ein Blatt mit Vorlieben geschickt, um das man sie gebeten hatte und auf dem stand, sie mache sich Sorgen und benötige viel Ermunterung, sei aber auch stark und wolle ohne Betäubung gebären.
Das ging mir zu Herzen. Ich war doch auf der Entbindungsstation gewesen, und obwohl sie dort versucht hatten, eine gemütliche Umgebung zu schaffen, mit Couchgruppen, Teppichen, Bildern an den Wänden und einem CD -Spieler in dem Raum, in dem die Geburt stattfinden sollte, zusätzlich zu einem Fernsehzimmer und einer Küche, in der man sich seine eigenen Mahlzeiten zubereiten konnte und wo man nach der Geburt ein eigenes Schlafzimmer mit Bad bekam, war es andererseits nun einmal so, dass eine andere Frau kurz zuvor im selben Zimmer niedergekommen war, und obwohl man es auf die Schnelle geputzt, das Bett frisch bezogen und neue Handtücher bereitgelegt hatte, war dies so unendlich oft geschehen, dass trotz aller Bemühungen ein schwacher metallischer Geruch von Blut und Eingeweiden in der Luft hing. In dem kühlen Schlafzimmer, das uns nach der Geburt für vierundzwanzig Stunden zur Verfügung stehen würde, hatte ein anderes Paar eben noch mit einem neugeborenen Kind im Bett gelegen, so dass alles, was für uns neu und überwältigend war, für die Angestellten
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