Sterben: Roman (German Edition)
lebendig war, und wenn ich ihn mit seiner Pfeife in der Hand vor mir sitzen sah, bärtig und nicht direkt langhaarig, aber doch mit vollen Haaren, in einem Strickpullover und einer Jeans mit weiten Schlägen, und seine hellen Augen einen lächelnd ansahen, hätte man ihn unter Umständen für einen jener sanften Väter halten können, die damals nach und nach auftauchten und an Einfluss gewannen und denen es nicht fremd war, einen Kinderwagen zu schieben, Windeln zu wechseln und auf dem Fußboden zu sitzen und mit den Kindern zu spielen. Nichts hätte jedoch weiter von der Wahrheit entfernt sein können. Das Einzige, was er mit ihnen gemeinsam hatte, war die Pfeife.
Oh Vater, bist du mir jetzt weggestorben?
Durch das offene Fenster in der oberen Etage schallte plötzlich Wimmern zu mir herab. Ich drehte den Kopf. In der Küche setzte Kari Anne, die gerade dabei war, die Spülmaschine auszuräumen, zwei Gläser auf der Arbeitsplatte ab und eilte zur Treppe. Ylva, die einen kleinen Wagen mit einer Puppe darin umhergeschoben hatte, trottete ihr hinterher. Unmittelbar darauf hörte ich durch das Fenster Kari Annes tröstende Stimme, und das Weinen hörte auf.
Ich erhob mich, öffnete die Tür und ging hinein. Ylva stand an dem Gatter vor der Treppe und schaute hoch. Die Leitungen in den Wänden rauschten.
»Möchtest du auf meinen Schultern sitzen?«, sagte ich.
»Ja«, antwortete sie.
Ich beugte mich nach unten und hob sie hoch, hielt ihre kleinen Beine mit den Händen fest und lief mehrmals zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her und wieherte dabei wie ein Pferd. Sie lachte, und wenn ich stehenblieb und mich vorbeugte, als wollte ich sie abwerfen, kreischte sie. Nach ein paar Minuten war ich es leid, machte der Ordnung halber aber noch etwas weiter, ehe ich in die Hocke ging und sie absetzte.
»Nochmal!«, sagte sie.
»Ein anderes Mal«, sagte ich und sah aus dem Fenster, die Straße hinunter, wo im selben Moment ein Bus rechts heranfuhr und hielt, um die spärliche Schar von Fahrgästen aus den Mietshäusern aufzulesen, die zur Arbeit mussten.
»Jetzt«, sagte sie.
Ich sah sie an und lächelte.
»Okay. Noch einmal«, sagte ich. Wieder hoch mit ihr, wieder hin und her, Halt machen und so tun, als wollte ich sie abwerfen, wiehern. Glücklicherweise kam Yngve kurz darauf herunter, so dass es einen natürlichen Grund zum Aufhören gab.
»Bist du fertig?«, sagte er.
Seine Haare waren nass und die Wangen nach der Rasur glatt. In der Hand hielt er seine alte blaurote Adidas-Tasche.
»Klar«, sagte ich.
»Ist Kari Anne oben?«
»Ja, Torje ist wach geworden.«
»Ich will nur noch eine rauchen, dann können wir los«, sagte Yngve. »Passt du so lange auf Ylva auf?«
Ich nickte. Glücklicherweise schien sie sich alleine zu beschäftigen, so dass ich mich auf die Couch fallen lassen und in einem der Musikmagazine blättern konnte. Aber für Plattenkritiken und Interviews mit Bands war ich nicht wirklich empfänglich, weshalb ich die Zeitschrift wieder weglegte und stattdessen nach seiner Gitarre griff, die in einem Stativ neben der Couch stand, vor dem Verstärker und den Tüten voller LPs. Es war eine schwarze, relativ neue Fender Telecaster, während der Röhrenverstärker ein alter Music Man war. Ansonsten besaß er noch eine Gitarre der Marke Hagström, die jedoch oben im Büro stand. Ich schlug gedankenverloren einige Akkorde an, es war der Anfang von Bowies Space Oddity, den ich leise vor mich hin sang. Ich selbst besaß keine Gitarre mehr, und in all den Jahren, die ich gespielt hatte, war ich über die elementarsten Dinge nicht hinausgekommen, die ein mittelmäßig begabter Vierzehnjähriger binnen eines Monats lernen würde. Das Schlagzeug, für das ich fünf Jahre zuvor richtig viel Geld auf den Tisch gelegt hatte, stand dagegen immerhin auf dem Dachboden, und nachdem wir nun wieder in Bergen wohnten, würde es vielleicht erneut benutzt werden.
In diesem Haus sollte man wohl eher Pippi Langstrumpf spielen können, dachte ich.
Ich stellte die Gitarre weg und griff noch einmal nach dem Altherren-Rockmagazin, während Kari Anne mit Torje im Arm die Treppe herunterkam. Baumelnd strahlte er über das ganze Gesicht. Ich stand auf und ging zu den beiden, lehnte mich zu ihm vor und sagte Buu! , was für mich fremd und unnatürlich war, so dass ich mir reichlich dämlich vorkam, aber das spielte für Torje sicher keine Rolle, der glucksend lachte und mich erwartungsvoll ansah, denn er wollte, dass es noch
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