Sterben: Roman (German Edition)
Busbahnhof, dem Fährterminal, dem Caledonien, den Silos draußen auf Oderøya. Zur Linken der Stadtteil, in dem vor Kurzem noch Vaters Onkel gelebt hatte, bis seine Demenz ihn in ein Altersheim irgendwohin geführt hatte.
»Sollen wir erst was essen oder direkt zum Beerdigungsinstitut gehen?«, sagte Yngve.
»Wir können genauso gut gleich hingehen«, erwiderte ich. »Weißt du, wo es ist?«
»Elvegaten Nummer so und so.«
»Dann müssen wir die Straße von oben finden. Weißt du, wo die Einfahrt ist?«
»Nein, am besten fahren wir einfach weiter, sie wird schon auftauchen.«
Wir hielten an einer roten Ampel, Yngve blickte in alle Richtungen. Die Ampel schaltete auf Grün, er legte den Gang ein und fuhr langsam einem kleinen Lastwagen mit einer grauen und dreckigen Plane über der Ladefläche hinterher, schaute immer wieder zur Seite, der Lastwagen beschleunigte, und als er die entstehende Lücke entdeckte, streckte er sich und gab Gas.
»Da drüben ging es runter«, sagte er und nickte nach rechts. »Jetzt müssen wir durch den Tunnel fahren.«
»Egal«, meinte ich. »Dann kommen wir eben von der anderen Seite.«
Aber es war nicht egal. Als wir aus dem Tunnel heraus auf die Brücke kamen, lag rechts die Bude, in der ich gewohnt hatte, ich sah das Haus von der Straße aus, und nur ein paar hundert Meter dahinter, auf der anderen Seite des Flusses, vor uns verborgen, lag Großmutters Haus, in dem Vater am Vortag gestorben war.
Er befand sich noch in dieser Stadt, in irgendeinem Keller oder an einem anderen Ort lag seine Leiche in der Obhut fremder Menschen, während wir auf dem Weg zum Beerdigungsinstitut in einem Auto saßen. In den Straßen, die wir sahen, war er aufgewachsen und erst kürzlich noch umhergegangen. Gleichzeitig regten sich auch meine eigenen Erinnerungen, denn da hinten stand das Gymnasium, und dort lag die Einfamilienhaussiedlung, durch die ich jeden Morgen und Nachmittag gegangen war, so verliebt, dass es wehtat, und dort stand das Haus, in dem ich so oft allein gewesen war.
Ich weinte, aber es war halb so wild, nur ein paar Tränen, die meine Wangen hinabliefen. Yngve merkte es erst, als er mich ansah. Daraufhin wedelte ich abwehrend mit der Hand und war froh, dass meine Stimme nicht brach, als ich sagte:
»Da drüben musst du links abbiegen.«
Wir bogen in den Torridalsveien, fuhren an den beiden Ascheplätzen vorbei, auf denen ich in dem Winter, als ich sechzehn war, so hart mit der 1. Mannschaft trainiert hatte, an Kjøita und der Kreuzung am Østerveien vorüber, auf dem wir die Brücke überquerten, hinter der wir rechts in die Elvegaten abbogen.
»Welche Hausnummer war es?«, sagte ich.
Yngve fuhr langsam und hielt dabei nach den Nummern Ausschau.
»Da ist es«, sagte er. »Jetzt müssen wir nur noch einen Parkplatz finden.«
Gunnar hatte Yngve den Namen des Instituts genannt. Sie hatten es beauftragt, als Großvater gestorben war, und wenn ich mich recht erinnerte, auch früher immer. Ich war damals in Afrika gewesen und erfuhr erst nach der Beerdigung von Großvaters Tod. Vater hatte mich informieren sollen, was er jedoch nie getan hatte. Bei der Beerdigung behauptete er dagegen, er habe mit mir gesprochen und ich hätte erklärt, ich könnte nicht kommen. Zu dieser Beerdigung wäre ich wirklich gern gegangen, und obwohl es sich aus praktischen Gründen schwierig gestaltet hätte, wäre es doch nicht völlig unmöglich gewesen, und selbst wenn es nicht gegangen wäre, hätte ich doch gerne sofort von seinem Tod erfahren und nicht erst drei Wochen später, als er schon unter der Erde war. Ich war außer mir vor Wut. Aber was konnte ich schon tun?
Yngve bog in eine kleine Querstraße und parkte am Straßenrand. Wir lösten im exakt selben Moment den Sicherheitsgurt, öffneten gleichzeitig die Tür, sahen einander an und lächelten darüber. Die Luft war mild, aber es war schwüler als in Stavanger, der Himmel eine Spur dunkler. Yngve ging zum Parkscheinautomaten, und ich zündete mir eine Zigarette an. Die Beerdigung meiner Großmutter mütterlicherseits hatte ich auch verpasst. Damals war ich mit Yngve in Florenz gewesen. Wir hatten den Zug genommen und uns in irgendeiner Pension einquartiert, und weil dies geschah, bevor jeder ein Handy hatte, konnte man uns nicht erreichen. Am Abend unserer Heimkehr erzählte Asbjørn uns, was passiert war, saß bei uns und trank den Schnaps, den wir mitgebracht hatten. Meine einzige Beerdigung war deshalb bisher die meines Großvaters
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