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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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dunkelbraunen Anhängers ruhte auf der Erde, irgendwie demütig, dachte ich, ein Diener, der sich verneigte, als ich herauskam. Ich steckte die Hände in die Taschen und ging die Auffahrt hinunter und den Bürgersteig der Hauptstraße entlang, die inzwischen fast trocken war. An dem freigesprengten Felshang oberhalb waren hingegen noch viele Flächen nass, und die darauf wachsenden Grassoden setzten sich in einem satten Grün glänzend von allem Dunklen ab, ganz anders als sonst, wenn es trocken und staubig war und die Kontraste zwischen den Farben kleiner zu sein schienen und alles unter dem Himmel gleichgültig wirkte, widerspenstig, offen und gewaltig und leer. An wie vielen dieser leeren, offenen Tage war ich hier gegangen? Hatte ich die schwarzen Fenster der Häuser gesehen, den Wind gespürt, der durch die Landschaft strich, die Sonne, die sie erhellte, all das Blinde und Tote darin? Oh, so war es während der Zeit, die man in dieser Stadt vergötterte, der Sommerzeit, so war es während der Zeit, die man als ihre beste betrachtete, in der sie so richtig auflebte. Blauer Himmel, brennende Sonne, staubige Straßen. Ein Auto mit plärrender Stereoanlage und offenem Verdeck, zwei junge Männer auf den vorderen Sitzen, nur in Badehosen, mit Sonnenbrillen, sie wollen zum Strand … Eine alte Frau mit Hund, sie ist von Kopf bis Fuß in Kleider gehüllt, ihre Sonnenbrille ist groß, der Hund zerrt an der Leine, will zu einem Zaun. Ein Flugzeug mit einer langen Banderole hinter sich, am nächsten Tag findet im Stadion ein Spiel statt. Alles ist offen, alles ist leer, die Welt ist tot, und am Abend füllen sich die Straßencafés mit sonnengebräunten und fröhlichen Frauen und Männern in hellen Kleidern.
    Ich hasste diese Stadt.
    Hundert Meter den Kuholmsveien hinunter gelangte ich zur Kreuzung, die Apotheke lag hundert Meter weiter, mitten in dem kleinen Einkaufszentrum des Stadtteils. Dahinter lag ein grasbewachsener Anstieg, auf dessen Kuppe einige Mietshäuser aus den fünfziger und sechziger Jahren standen. Auf der anderen Seite der Straße, ein Stück den Hügel hinauf, lagen die Elevine-Gesellschaftsräume, die man mieten konnte. Sollten wir uns dort nach der Beerdigung versammeln?
    Der Gedanke, dass er nicht nur für mich tot war, sondern auch für seine Mutter und seine Brüder, seine Onkel und Tanten, ließ mich erneut in Tränen ausbrechen. Dass dies auf einem Bürgersteig passierte, wo laufend Leute vorbeikamen, interessierte mich nicht, ich nahm sie kaum wahr, strich die Tränen aber dennoch mit der Hand fort, vor allem aus praktischen Erwägungen, um sehen zu können, wohin ich ging, während mir plötzlich ein Gedanke kam: den Kaffee nach der Beerdigung würden wir nicht im Elevine abhalten, sondern in Großmutters und Großvaters Haus, das er so verwüstet hatte.
    Bei dem Gedanken war ich sofort Feuer und Flamme.
    Wir würden jeden verdammten Zentimeter in jedem verdammten Zimmer putzen, alles wegwerfen, was er besudelt hatte, alles herausholen, was noch da war, das ganze Haus instandsetzen und anschließend alle dorthin einladen. Schon möglich, dass er alles verwüstet hatte, aber wir würden es wieder herrichten. Wir waren fleißige Menschen. Yngve würde sagen, dass es nicht ging, dass es keinen Sinn hatte, aber ich konnte darauf bestehen. Ich hatte das gleiche Recht wie er zu entscheiden, wie die Beerdigung abgehalten werden sollte. Zum Teufel, natürlich war es möglich. Man musste das Haus nur putzen. Putzen, putzen, putzen.
    In der Apotheke war ich sofort an der Reihe, und nachdem ich mich ausgewiesen hatte, ging die weißgekleidete Verkäuferin zwischen die Regale und holte die Tabletten, druckte ein Etikett aus und klebte es auf, legte das Medikament in eine Tüte und schickte mich zum Bezahlen an die Kasse auf der anderen Seite.
    Ein vages Gefühl, dass es hier etwas Gutes gab, vielleicht nur geweckt von der Luft, die sich einen Hauch kühler auf die Haut legte, ließ mich draußen auf der Treppe stehen bleiben.
    Grauer, grauer Himmel, graue, graue Stadt.
    Glänzende Karosserien. Leuchtende Fenster. Leitungen, die von Mast zu Mast liefen.
    Nein. Hier war nichts.
    Langsam ging ich zum Kiosk.
    Vater hatte mehrmals von Selbstmord gesprochen, aber immer ganz allgemein, als Thema. Er meinte, die Selbstmordstatistik lüge, viele, möglicherweise fast alle Autounfälle mit einem einsamen Fahrer seien verdeckte Selbstmorde. Mehrfach erwähnte er, es sei üblich, mit dem Auto gegen eine Felswand oder

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