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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Schwiegervater ist Arzt, und als ich ihm erzählt habe, was passiert ist, hat er dir etwas zur Beruhigung verschrieben. Ich denke, das kann nicht schaden. Nach dem, was du erlebt hast und so.«
    Ich fischte die viereckige Pappschachtel aus der Tüte, öffnete sie und zog die Plastikdose heraus.
    »Was steht drauf?«, sagte Großmutter.
    »Morgens und abends jeweils eine Tablette«, erklärte ich. »Möchtest du eine nehmen?«
    »Ja, wenn der Arzt es gesagt hat«, meinte Großmutter. Ich reichte ihr die Dose, und sie öffnete den Behälter, schüttelte eine Tablette heraus und sah sich auf dem Tisch um.
    »Ich hole dir einen Schluck Wasser«, sagte ich.
    »Nicht nötig«, erwiderte sie, legte die Tablette auf die Zunge, hob die Tasse mit kaltem Kaffee an den Mund, ruckte kurz mit dem Kopf und schluckte.
    »Oh«, sagte sie.
    Ich legte die Zeitung auf den Tisch, schaute zu Yngve hinüber, der wieder rieb.
    »Es ist schön, dass ihr hier seid, Jungs«, sagte Großmutter. »Aber willst du nicht mal eine Pause machen, Yngve? Du sollst dich hier nicht totarbeiten.«
    »Vielleicht hast du Recht«, meinte Yngve und zog die Handschuhe aus, hängte sie über den Griff der Ofentür, rieb mit den Handflächen mehrmals über sein T-Shirt und setzte sich.
    »Ich überlege, ob ich mit dem Bad unten anfangen soll«, sagte ich.
    »Vielleicht sollten wir in derselben Etage bleiben«, sagte Yngve. »Dann bleiben wir ein bisschen in Kontakt.«
    Ich begriff, dass er mit Großmutter nicht allein sein wollte, und nickte.
    »Dann übernehme ich das Wohnzimmer«, erklärte ich.
    »Was ihr arbeitet«, meldete sich Großmutter. »Das ist doch nicht nötig.«
    Warum sagte sie das? Schämte sie sich dafür, wie es hier aussah und dass sie es nicht geschafft hatte, Ordnung zu halten? Oder wollte sie nur nicht, dass wir sie alleine ließen?
    »Es schadet doch nicht, wenn wir ein bisschen putzen«, sagte ich.
    »Nein, da hast du Recht«, erwiderte sie. Dann sah sie zu Yngve hinüber.
    »Habt ihr euch schon mit dem Beerdigungsinstitut in Verbindung gesetzt?«
    Mir lief ein Schauer über den Rücken.
    War sie die ganze Zeit so klar im Kopf gewesen?
    Yngve nickte.
    »Wir waren heute Vormittag da. Sie kümmern sich um alles.«
    »Das ist gut«, sagte sie. Saß für einen Moment ganz still und in sich versunken und sprach dann weiter.
    »Als ich ihn sah, wusste ich nicht, ob er tot war oder nicht. Ich wollte ins Bett gehen und sagte gute Nacht, und er antwortete nicht. Er saß wie immer drinnen im Sessel. Und dann war er tot. Sein Gesicht war ganz weiß.«
    Ich begegnete Yngves Blick.
    »Du wolltest ins Bett gehen ?«, sagte er.
    »Ja, wir hatten den ganzen Abend ferngesehen«, antwortete sie. »Und dann rührte er sich nicht, als ich nach unten gehen wollte.«
    »War es dunkel draußen? Erinnerst du dich?«, sagte Yngve.
    »Ja, ich denke schon, oder?«, sagte sie.
    Ich war kurz davor, mich zu übergeben.
    »Aber als du Gunnar angerufen hast«, sagte Yngve. »Das war doch am Morgen. Erinnerst du dich?«
    »Kann gut sein, dass es Morgen war«, meinte sie. »Jetzt, wo du es sagst. Doch, so war es. Ich kam hoch, und er saß in seinem Sessel. Da drinnen.«
    Sie stand auf und verließ die Küche. Wir folgten ihr. Nach ein paar Schritten ins Wohnzimmer blieb sie stehen und zeigte auf den Sessel vor dem Fernseher.
    »Da hat er gesessen«, erklärte sie. »Da ist er gestorben.«
    Sie legte für einen kurzen Moment das Gesicht in die Hände. Dann kehrte sie rasch in die Küche zurück.
    Dazu ließ sich durch nichts eine Brücke bauen. Es ließ sich niemals bewältigen. Ich konnte meinen Eimer mit Wasser füllen und putzen, ja, ich konnte das ganze gottverdammte Haus putzen, aber es würde nichts, gar nichts nützen, natürlich nicht, auch der Gedanke, das Haus in den Griff zu bekommen und die Trauerfeier in ihm abzuhalten, würde keine Hilfe sein, nichts, was in meiner Macht stand, würde helfen, es gab nichts, worin ich aufgehen konnte, dies konnte durch nichts gemildert werden.
    »Wir müssen uns mal kurz unterhalten«, sagte Yngve. »Sollen wir auf die Veranda gehen?«
    Ich nickte und folgte ihm in das zweite Zimmer hinunter und auf die Veranda. Es regte sich kein Lüftchen. Der Himmel war noch so grau wie zuvor, über der Stadt jedoch eine Spur heller. Das Geräusch eines Autos in einem niedrigen Gang schallte aus der engen Gasse unterhalb des Hauses zu uns herauf. Yngve stützte sich mit beiden Händen auf das Geländer und blickte zur Fjordmündung hinaus.

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